Versprechen kommen in Italien meistens gut an, selbst wenn sie vollmundig oder gar unrealistisch sind. Doch die fünf Monate für den Wiederaufbau, die zuerst versprochen wurden, haben auch in Italien nur wenige überzeugt.
Erstaunlich ist, dass auch die weiteren Prognosen unrealistisch blieben. Denn sie wurden gemacht, nachdem Experten die Lage ausgiebig studiert hatten.
Marco Bucci, Bürgermeister von Genua und Kommissar für den Wiederaufbau, behauptete kurz vor Weihnachten, er sei zuversichtlich, dass die neue Brücke bis Ende Jahr stehen werde. Sie werde wohl noch nicht für den Verkehr freigegeben sein, doch fotografieren werde man sie zumindest können.
Heute, sechs Monate nach diesem Fototermin, ist von der neuen Brücke noch nichts zu sehen. Noch nicht mal der Abbruch der alten wurde abgeschlossen.
Renzo Piano für den Neubau beauftragt
Trotzdem ist seit dem Einsturz einiges passiert: Rund 600 Personen, die direkt unter oder neben der Morandibrücke wohnten, wurden umgesiedelt, viele von ihnen haben unterdessen eine Entschädigung erhalten. Genuas Stararchitekt Renzo Piano legte einen Plan für eine neue Brücke vor. Und seit Dezember ist der Staat daran, die Reste der alten Brücke abzutragen. Die beiden stehengebliebenen Brückenpfeiler sollen durch eine Sprengung fallen.
Dass dies viel länger dauert als zuerst geplant, liegt an diversen widrigen Umständen. Sowohl an der Brücke selbst wie auch in den Häusern unter der Brücke war asbesthaltiges, krebserregendes Material verbaut worden.
Besorgte Anwohner organisierten Widerstand. Man müsse sicherstellen, dass kein Asbest freigesetzt werde. Die Behörden waren gezwungen, darauf einzugehen. Deshalb werden vor der Sprengung der Pfeiler, die für nächste Woche geplant ist, über 3000 Personen evakuiert und Messungen gemacht.
Ermittlungen führten zu Verzögerungen
Verzögerungen gibt es aber auch, weil die Justiz ermittelt. Beim Einsturz starben 43 Personen, die Schuldfrage stellt sich also ganz dringend. Darum waren während Monaten auch Justizbeamte bei der Brücke anzutreffen. Sie blockierten den Abbruch, weil sie Trümmerteile sicherstellen mussten – Beweise, die dabei helfen, herauszufinden, wer die Verantwortung trägt.
Inzwischen ermittelt die Justiz gegen mehr als 70 Verdächtige. Aber auch sonst sind Staatsanwälte vor Ort unterwegs. Denn eine Firma, die mit Abbrucharbeiten betraut worden war, soll Verbindungen zur Mafia haben.
Nimmt man all das zusammen, so wird die Brücke dieses Jahr weder stehen noch zum Fotografieren bereit sein. Irgendwann im Jahr 2020, heisst es nun, sei es soweit. Andere sagen, selbst das sei zu optimistisch, es werde Jahre dauern.
Autobahnbetreiber Benetton ungehindert
Unterdessen ist schon fast in Vergessenheit geraten, was einzelne Politiker kurz nach dem Unglück auch noch gesagt und versprochen hatten. Vizepremier und Cinque-Stelle-Chef Luigi Di Maio wies die Schuld sofort dem von der Familie Benetton kontrollierten, privaten Autobahnbetreiber zu.
«Wir sind kurz davor, dieser Firma die Konzession zum Betreiben Italienischer Autobahnen zu entziehen», verkündete er im August 2018. Doch auch das war, wie man heute weiss, vollkommen unrealistisch. Die von der Familie Benetton kontrollierte Firma betreibt noch heute einen grossen Teil der italienischen Autobahnen und erzielt damit weiterhin grosse Gewinne.