Die Meldung der Befreiung von vier israelischen Geiseln durch die israelische Armee und Spezialkräfte verbreitete sich heute in Israel wie ein Lauffeuer. Ein Bademeister am Strand in Tel Aviv verkündete die Nachricht via Lautsprecher und die Menschen brachen spontan in Applaus und Jubel aus, wie ein Video auf Social Media zeigt.
Besonders das Schicksal der 26-jährigen Geisel Noa Argamani bewegt das Land. Argamanis Mutter hat einen Hirntumor und liegt im Sterben. Ihr grösster Wunsch war es, ihre Tochter noch einmal zu sehen.
Das ist das eine Bild, das sich nach der heutigen Befreiungsaktion zeigt. Das andere Bild sieht düsterer aus.
Befreite Israeli, getötete Palästinenser
Die israelische Befreiungsaktion hat – neben einem getöteten israelischen Soldaten – auf der palästinensischen Seite viele Opfer gefordert: Laut dem von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministerium sind bei der israelischen Befreiungsaktion über 200 Menschen getötet worden. Unabhängig verifizieren lässt sich diese Zahl derzeit nicht. Auf Videoaufnahmen aus Gaza sind leblose Körper, verletzte Kinder sowie blutüberströmte Menschen zu sehen, die Zuflucht suchen in einem bereits völlig überlasteten Spital.
Hamas reagiert erzürnt
Die heutigen Ereignisse verschieben die Vorzeichen im aktuellen Konflikt und die Verhandlungen um einen Geiseldeal. Der politische Führer der Hamas, Ismail Haniyeh, hat kurz nach der israelischen Militäraktion ein Statement veröffentlicht. In diesem schreibt er, Israel könne der Hamas keine Entscheidungen aufzwingen und die Hamas werde keinen Deal akzeptieren, der nicht Sicherheit für die Palästinenser bringe.
Eine mögliche Interpretation dieses Statements ist, dass es eine Absage an den aktuell vorliegenden Geiseldeal unter Vermittlung von US-Präsident Joe Biden darstellt. Doch so explizit sagt das Haniyeh wohlweislich nicht. Wie auch die israelische Seite hat die Hamas zwar bereits früh Bedenken am Deal angemeldet, diesen aber nicht komplett verworfen.
Kaum erfolgreiche Befreiungen bisher
Israel hat mit der erfolgreichen Befreiung der vier Geiseln gezeigt, dass es Geiseln lebend zurückholen kann. Das war in den bisherigen acht Kriegsmonaten trotz immensem Mittelaufwand nur bei drei weiteren Geiseln gelungen. Die Befreiung der vier Geiseln bringt die Hamas also unter Druck. Denn die rund 120 noch im Gazastreifen vermuteten Geiseln stellen das grösste Druckmittel der Terrororganisation im aktuellen Konflikt dar.
US-Aussenminister Anthony Blinken will am kommenden Montag erneut in den Nahen Osten reisen – für Gespräche in Ägypten, Israel, Jordanien und Katar. Die Vermittler befürchten, dass der Konflikt ausser Kontrolle geraten könnte, wenn nicht bald eine Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas gelingt. Dies insbesondere auch mit Blick auf den schwelenden und immer weiter eskalierenden Konflikt zwischen Israel und der vom Iran unterstützten Hisbollah-Miliz im Libanon.
Verhärtete Fronten
Die heutige Geiselbefreiung ist ein kurzfristiger Erfolg für Israel. Doch ob sich dieser wiederholen lässt, ist alles andere als gewiss. Die Armee hat wochenlang für die Befreiungsaktion der vier Geiseln geübt. Ein Armeesprecher sagte heute, die Aktion hätte auch schiefgehen können.
Noch immer befinden sich rund 120 Geiseln in Hamas-Gefangenschaft. Wie viele von ihnen noch leben, ist unklar. Viele Beobachterinnen und Beobachter gehen davon aus, dass ein Abkommen zwischen Israel und der Hamas nötig ist, um eine grössere Zahl dieser Geiseln noch lebend zurückholen zu können – wie etwa den derzeit diskutierten «Friedensplan» von US-Präsident Joe Biden.
Ob die heutige Rettungsaktion einem solchen Deal zuträglich ist, ist mehr als fraglich. Vielmehr könnte die Militäraktion zu noch stärker verhärteten Fronten führen – und einen Geiseldeal damit verunmöglichen.