Russland steht auf der Schweizer Visa-Statistik auf Platz acht. Seit Jahresbeginn hat die Schweiz über 7000 Visa an Russinnen und Russen ausgestellt. Diese Zahl nennt das Staatssekretariat für Migration auf Anfrage von Radio SRF. Der häufigste Reisegrund sind Treffen mit Freunden und Familie – gefolgt von Geschäftsreisen und Tourismus.
Aussenpolitiker und FDP-Vizepräsident Andrea Caroni sagt, zuerst habe es ihn gestört, dass das Reisen weitergehe wie vor dem Angriff auf die Ukraine: «Mein Bauchgefühl gleich nach der Invasion war ‹Russen raus›. Aber dann treffen wir viele falsche. Und gerade auch diejenigen, die sich mit dem Westen austauschen wollen, die vielleicht gegen den Krieg sind.»
Mehr ausgestellte Visa als während Pandemie
Direktflüge aus Russland gibt es nicht mehr. Dennoch dürfte die Schweiz bis Ende Jahr deutlich mehr Visa an Russinnen und Russen ausstellen als in den Pandemiejahren. Im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie sind die Visazahlen zwar nur halb so hoch, doch mit Platz acht in der Statistik bleibt die Reisetätigkeit rege.
Anträge Schengen-Visa | Erteilte nationale Visa | verweigerte Schengen-Visa | Total erteilte Visa | |
2018 | 21’193 | 3503 | 235 | 24'461 |
2019 | 20'720 | 3531 | 302 | 23'949 |
2020 | 5142 | 2732 | 114 | 7760 |
2021 | 6513 | 2842 | 28 | 9327 |
01.01. bis 31.07.2022 | 6136 | 1695 | 587 | 7244 |
*Quelle für Tabelle: Visa Monitoring (SEM)
Die Schweiz und die übrigen Schengen-Staaten sollten das tolerieren, sagt FDP-Ständerat Caroni. Und er ist nicht alleine: Aus allen Bundesratsparteien, die überhaupt Russland-Sanktionen unterstützen, tönt es so. «Man bestraft damit einfach die Bevölkerung pauschal, ohne dass man dem Regime einen Nachteil verschafft», begründet Mitte-Präsident Gerhard Pfister sein Nein zu einem Visa-Stopp.
Ministerinnen und Minister auf dem Baltikum argumentieren anders: Reiche und privilegierte Russen würden ins Ausland reisen. Eine Visa-Sperre treffe sie. Das erzeuge Druck aufs Regime. Das sei Wunschdenken, sagt hingegen Gerhard Pfister: «Man kann eine Bevölkerung ja nicht zwingen, sich gegen eine Regierung zu erheben. Das ist mit schweren persönlichen Nachteilen verbunden. Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist.»
SP-Aussenpolitiker Fabian Molina ruft normalerweise mit am lautesten nach härteren Russland-Sanktionen. Sein Nein zu einer Visa-Sperre begründet er mit den Worten eines anderen Sozialdemokraten, Deutschlands Kanzler Olaf Scholz: «Dies ist Putins Krieg und nicht der Krieg der russischen Bürgerinnen und Bürger.»
Deshalb sollten die Schengen-Staaten nicht alle bestrafen. Molina vermutet aber, dass Schweizer Visa auch an Russinnen und Russen aus dem weiteren Umfeld des Regimes gehen. Das müsse aufhören: «Die Schweiz ist ein beliebtes Ferienland für reiche Russinnen und Russen, darunter sicherlich auch Personen aus dem Umfeld von Präsident Putin. Und aufgrund von Informationen des Nachrichtendiensts könnte man zusätzliche Personen mit Einreisesperren belegen.»
Diskussion im Bundeshaus
Was Molina hier fordert, wären eigenständige Sanktionen der Schweiz, unabhängig von der EU. Noch darf der Bundesrat solche Sanktionen gar nicht verhängen. Just in diesen Tagen ringen im Bundeshaus Aussenpolitikerinnen und Aussenpolitiker um die Frage, ob sich das ändern soll.