Minneapolis steht unter Hochspannung. Vor dem Gericht finden Proteste statt. 6000 Soldaten und Soldatinnen der National Guard stehen zum Einsatz bereit, im Fall von Aufständen.
Drinnen im Gerichtssaal legt die Anklage der 12-köpfigen Jury dar, warum sie den Polizisten Derek Chauvin wegen Mordes schuldig sprechen soll: Neun Minuten und 29 Sekunden lang habe der Polizist Derek Chauvin Georg Floyd im brutalen Würgegriff gehalten, nachdem der Unbewaffnete bei seiner Verhaftung in Panik geraten sei. Das sei unverhältnismässig und erbarmungslos gewesen, so der Staatsanwalt.
Polizei bestätigt: exzessive Gewalt
Immer wieder sahen die Geschworenen die Videos des sterbenden Georg Floyd, wie er die Polizisten anflehte, von ihm zu lassen und immer wieder sagte: «I can't breathe» – ich kann nicht atmen.
Die Anlage führte schockierte Augenzeugen vor, die vor Ort vergeblich versucht hatten, Chauvin zu stoppen. Aber auch Polizisten und Polizistinnen des Polizeikorps von Minneapolis, die bestätigten, dass ihr Kollege exzessive Gewalt angewendet habe. Das sei nicht Teil des polizeilichen Trainings und entspreche sicher nicht den ethischen Grundsätzen und Werten der Polizei.
Verteidigung: Es gibt eine Vorgeschichte
Der angeklagte Derek Chauvin verzichtet auf eine Aussage. Er sass während der Schlussplädoyers still da, in blauem Hemd und Krawatte, und machte Notizen. Sein Verteidiger rief die Geschworenen auf, die Fakten in den grösseren Zusammenhang zu stellen.
Denn zu den berühmten neun Minuten und 29 Sekunden gebe es eine Vorgeschichte. Und diese zeige, dass Derek Chauvin vernünftig und nach bestem Wissen gehandelt habe. George Floyd habe sich widersprüchlich verhalten und unter Drogeneinfluss gestanden. Chauvin habe davon ausgehen müssen, dass Floyd eine Gefahr darstelle.
Todesursache in Zweifel gezogen
Zudem hätten möglicherweise eine Überdosis der Droge Fentanyl und eine Herzerkrankung zu seinem Tod geführt – und nicht Derek Chauvins Einsatz. Man könne nicht ernsthaft behaupten, all diese anderen Faktoren hätten keine Rolle gespielt. Deshalb gelte das Prinzip «im Zweifelsfall für den Angeklagten», so die Verteidigung.
Über zwei Wochen hat der Prozess gegen Derek Chauvin bisher gedauert. 45 Zeugen und Zeuginnen sind aufgetreten. Der Prozess wird in den USA live auf allen Kanälen übertragen. Auffallend ist: Die Hautfarbe des Opfers, respektive des mutmasslichen Täters, bleibt gänzlich ausgeklammert.
In der Öffentlichkeit hingegen gilt George Floyd als Märtyrer im Kampf gegen rassistische Polizeigewalt. Die Geschworenen müssen nun zu einem unabhängigen Urteil kommen – keine einfache Aufgabe angesichts der schweren Aufständen, die bei einem Freispruch drohen.