Am Wochenende stehen die Europawahlen an. Sebastian Ramspeck war in der belgischen Hauptstadt Brüssel und wollte für die Sendung #SRF Global herausfinden, ob man die EU als Weltmacht bezeichnen kann. Sein Fazit diesbezüglich fällt eher ernüchternd aus.
SRF News: Ist die EU eine Weltmacht?
Sebastian Ramspeck: Nein, denn eine Weltmacht ist eine Macht, die auf der ganzen Welt mit der ganzen Bandbreite an Machtmitteln Einfluss nehmen kann. Die Europäische Union ist mit 450 Millionen Konsumentinnen und Konsumenten vor allem ein grosser Markt für Güter, Dienstleistungen und Kapital, einer der grössten der Welt neben den USA und China. Dieser Markt gibt der EU eine Marktmacht. Rein wirtschaftlich ist die EU tatsächlich eine Weltmacht. Aber politisch und militärisch ist die EU ganz klar keine Weltmacht, weit davon entfernt. Ein belgischer Aussenminister hat einmal gesagt: Die EU ist wirtschaftlich ein Riese, politisch ein Zwerg und militärisch ein Wurm.
Jeder der 27 EU-Mitgliedsstaaten hat ein Vetorecht, das macht es schwierig.
Wenn es politisch auf der Welt etwas durchzuringen gibt, sind als Erstes die Staatschefs von China, USA oder Russland ausschlaggebend und nicht unbedingt die EU-Kommissionspräsidentin. Woran liegt das?
Das liegt einmal daran, dass die EU eben all das nicht hat, was eine echte Weltmacht ausmacht: Sie hat keine schlagkräftige Diplomatie, keinen Geheimdienst, keine Armee, schon gar keine Atomwaffen. Vor allem liegt es aber auch an den Entscheidungsstrukturen: In der Aussen- und Sicherheitspolitik gilt in der EU das Prinzip der Einstimmigkeit. Jeder der 27 Mitgliedsstaaten hat ein Vetorecht, das macht es schwierig. Manchmal ist es schon fast erstaunlich, dass sich die EU überhaupt zu gemeinsamen Positionen durchringen kann, wie zum Beispiel zu den Anti-Russland-Sanktionen.
Könnte eine mögliche EU-Armee der ausschlaggebende Punkt sein?
Eine EU-Armee ist so etwas wie der Evergreen unter den EU-Ideen. Alle paar Jahrzehnte fordert das jemand. Die Franzosen, Angela Merkel, der ehemalige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker; alle haben es gefordert. Aber am Ende bleibt es dann eben bei der Idee, weil eine Armee aus Sicht der meisten EU-Staaten ein zu grosser Machttransfer nach Brüssel darstellen würde. 23 der 27 EU-Staaten sind Teil der Nato und vertrauen dem Verteidigungsbündnis immer noch mehr als einer möglichen EU-Armee.
Wenn, dann ist die EU eine regulatorische Weltmacht.
Immer wieder gibt es politische Entscheidungen, die in der EU getroffen werden, die einen Einfluss auch auf andere Länder haben. Zum Beispiel konnte die EU gegen den Techgiganten Apple durchsetzen, einheitliche Ladekabel zu verwenden. Das ist doch als Erfolg zu werten.
Ja, die EU ist einer der drei grössten Märkte der Welt und sie kann bestimmen, wie sich Firmen auf diesem grossen Markt verhalten sollen. Sie kann Regeln beschliessen, sie kann Standards setzen, die dann oft über die EU und über Europa hinaus Gültigkeit haben, weil viele Staaten der Einfachheit halber diese EU-Regeln übernehmen. Zum Beispiel, wenn es um Ladekabel für Mobiltelefone geht, um den Datenschutz oder um die künstliche Intelligenz. Und wenn sich ein Konzern in der EU nicht an die Regeln hält, dann kann die EU Milliardenbussen verhängen. So gesehen ist die EU durchaus ein bisschen Weltmacht, eine regulatorische Weltmacht.
Das Gespräch führte Can Külahcigil.