Die schwedischen Sicherheitsbehörden haben im Vorfeld der Europawahlen vor russischen Desinformationskampagnen gewarnt. Recherchen zeigen nun, dass über zahlreiche anonyme Konten in sozialen Medien tatsächlich Falschinformationen über politische Rivalen verbreitet werden.
Doch dahinter steckt keine russische Trollfabrik, sondern die Kommunikationsabteilung der Partei der Schwedendemokraten (SD).
Politisches Erdbeben
«Ja, wir sind eine Trollfabrik», sagt der Mediensprecher der rechtspopulistischen Schwedendemokraten in einem neuen Dokumentarfilm, den der unabhängige schwedische Fernsehsender TV4 ausgestrahlt hat. Darin belegen Investigativjournalisten, dass die Schwedendemokraten mindestens 23 anonyme Konten auf populären sozialen Medienplattformen unterhalten.
Mit diesen Konten verbreiten sie manipulierte Wahlkampfvideos, verleumden führende Politikerinnen und Politiker und streuen Falschinformationen zu kontroversen Themen wie Migration und Klimaschutz.
Die Enthüllungen haben in Schweden ein politisches Erdbeben ausgelöst, denn die ganz am rechten Rand politisierenden Schwedendemokraten sind die grösste Partei im aktuellen Regierungslager rechts der Mitte. Seit den Wahlen vor zwei Jahren bestimmen sie die Politik der bürgerlichen Regierung von Ministerpräsident Ulf Kristersson entscheidend mit.
Nichts mehr als ein Garderobenschwatz?
Kristersson bezeichnete die verdeckte Verleumdungskampagne als inakzeptabel. Anstössige, anonyme Posts aus der Küche eines politischen Partners schädigten das gegenseitige Vertrauen, sagte Kristersson und verlangte von den Schwedendemokraten eine Klärung der Fälle. Johan Pehrson, Parteichef des liberalen Koalitionspartners, forderte gleich ein neues Gesetz, das solche Kommunikation durch Parteien unter falscher Flagge verbietet. Starke Stimmen in seiner Partei drängten zudem auf einen Austritt aus der Minderheitenregierung.
Jimmie Akesson, Parteichef der Schwedendemokraten, mag der Kritik nichts abgewinnen. Er nennt die Posts im schwedischen Radio einen «nicht bös gemeinten Garderobenschwatz».
Der Unterschied in der Kommunikation zu anderen Parteien liegt in der Tatsache, dass hier ein politischer Akteur anonym agiert.
Ola Svenonius, Desinformationsexperte der Staatlichen Verteidigungsakademie in Stockholm, teilt diese Einschätzung nicht. «Der grosse Unterschied in der Kommunikation zu anderen Parteien liegt in der Tatsache, dass hier ein politischer Akteur anonym agiert. Das nenne ich Desinformation», erklärte Svenonius in einer TV-Diskussionssendung.
Stuhl von Ministerpräsident Kristersson wackelt
Für Ministerpräsident Ulf Kristersson steht die Aufrechterhaltung der hauchdünnen rechtsbürgerlichen Mehrheit im Parlament mit den Schwedendemokraten im Vordergrund. Nach Aussprache mit den anderen Parteichefs erklärte er sich mit der Löschung einiger besonders verletzender Posts zufrieden, was Akesson dazu nutzte, seine Kritiker als Teil einer Verschwörung einer linksliberalen Elite zu bezeichnen. Er nannte die Enthüllungen von TV4 seinerseits eine «gigantische Desinformation».
Wenige Wochen vor der Europawahl steht Schwedens Regierung vor einem Scherbenhaufen. Kristerssons zurückhaltende Reaktion schwächt das Vertrauen in der Bevölkerung – auch, weil die Desinformationskampagne nicht wie befürchtet von ausserhalb des Landes kam, sondern aus dem Herzen der politischen Macht.
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