«Wir sind inzwischen alle Slowakei-Expertinnen», sagte mir vor Kurzem eine Bekannte aus der Ukraine. Wie viele andere in Kiew, aber auch in Moskau oder Brüssel, wird sie dieses Wochenende die Wahlen im kleinen mitteleuropäischen Land mitverfolgen. Denn wen die Wahlberechtigten des Fünfeinhalbmillionen-Landes wählen, könnte weit über die Landesgrenzen hinaus Auswirkungen haben.
Die Ausgangslage: Die Korruption auszurotten, war das Versprechen, mit dem der Antikorruptionskämpfer Igor Matovic die letzten Wahlen in der Slowakei völlig überraschend gewann. Und tatsächlich sind die korrupten Netzwerke, welche die Slowakei prägten und bis in die höchsten Ebenen des Staates reichten, heute schwächer. Matovic liess den Ermittlern freie Hand. Diese brachten rund vierzig Ermittlungsbeamte, Richterinnen, Geschäftsleute und Politiker hinter Gitter. Gegen 130 weitere laufen die Untersuchungen noch, darunter verschiedene Spitzenpolitiker. Trotzdem war die Koalition, welche die Slowakei seit Januar 2020 regierte, für viele eine Enttäuschung. Sie regierte chaotisch und zerfiel schliesslich. Das ist der Grund für die vorgezogenen Neuwahlen am 30. September.
Das Comeback eines Abgeschriebenen: Nach insgesamt zehn Jahren als Regierungschef galt Robert Fico als politisch erledigt. Viele machen ihn verantwortlich dafür, dass kriminelle Netzwerke sich in der Slowakei so weit ausbreiten konnten. Doch nun scheint der Linkspopulist vor einem Comeback zu stehen. Seine Smer-Partei führt seit Monaten in den Umfragen. Zwar kommt auch sie nur auf rund zwanzig Prozent der Stimmen. Doch Fico hat die besten Chancen, eine Koalitionsregierung zu zimmern.
Wofür der Favorit steht: Robert Fico ist schon als Regierungschef mit EU-kritischen und russlandfreundlichen Positionen aufgefallen. Seit seiner Niederlage bei den letzten Wahlen ist Fico aber deutlich radikaler geworden. Die Militärhilfe der Slowakei an die Ukraine will Fico einstellen, die Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland hält er für falsch. Immer wieder verbreitet er russische Propaganda. Innenpolitisch fällt Fico mit heftiger Kritik an der Justiz auf: Er will Gerichte und Ermittlungsbehörden «säubern». Mit traditionellen Medien spricht Fico kaum noch, dafür bedient er jene Kanäle, die Fake News verbreiten und in der Slowakei besonders stark sind.
Die möglichen Folgen der Wahlen in der Slowakei für Europa: Wird Robert Fico slowakischer Regierungschef, hätten es die EU und die Nato im Osten Europas neben dem Ungaren Viktor Orban mit einem weiteren potenziellen Querschläger in ihren Reihen zu tun. Besonders ins Gewicht fallen dürfte, dass die westliche Allianz für die Ukraine und gegen den Aggressor Russland weitere Risse bekommen könnte. Innenpolitisch fürchten sich Ficos Gegner vor allem davor, dass er versuchen könnte, die Gerichte und die Ermittlungsbehörden zu drangsalieren. Allerdings wird auch Fico nicht allein regieren können, sondern Koalitionspartner brauchen. Und so ist es entscheidend, wie die kleineren Parteien bei den Wahlen am Samstag abschneiden.