Anklage folgt auf Anklage gegen Ex-Präsident Donald Trump: Auch bei der vierten innert viereinhalb Monaten geht es um Wahlbetrug, doch diesmal hätte eine Verurteilung wohl massive Folgen, wie Politikwissenschaftler Christian Lammert erklärt.
SRF News: Stimmen Sie in den allgemeinen Tenor ein, dass die jüngste Anklage den Ex-Präsidenten empfindlich treffen könnte?
Christian Lammert: Das kann man unter zwei Gesichtspunkten klar sagen. Denn hier geht es nicht um eine Bundesklage, sondern um eine Einzelstaatsklage. Das hiesse im Falle einer Verurteilung, dass Trump von einem neuen Präsidenten oder auch bei einer Wiederwahl nicht begnadigt werden kann. Denn das gehört nicht in die Zuständigkeit des Bundes. Zugleich laufen diese Anklagen unter einem Verfahren gegen eine kriminelle Vereinigung, deren Kopf Trump sein soll. Dafür gibt es bei einer Verurteilung mindestens fünf Jahre Gefängnis. Eine neue Dimension also, der sich Trump hier stellen muss.
Trump als Mitglied einer kriminellen Organisation? Was bedeutet das genau?
Trump muss in diesem Fall nicht selbst vor Ort aktiv gewesen sein, um sich mitschuldig zu machen. Es reicht, wenn er etwa seine Anwälte nach Georgia geschickt hat, damit diese seine Pläne umsetzen: etwa andere Elektoren einzusetzen, die für ihn und nicht für Biden stimmen. Bei so vielen Mitangeklagten besteht zugleich die Gefahr, dass der eine oder die andere umkippt und gegen Trump aussagt.
Sind unter den Angeklagten Leute, die tatsächlich «umkippen» könnten?
Ja. Das zeigte sich bereits bei den Kongressuntersuchungen, dass immer mehr Leute auch im engsten Umkreis kooperationswillig sind. Bei einer drohenden Gefängnisstrafe von mindestens fünf bis zu 20 Jahren ist der Anreiz zur Kooperation ziemlich gross.
Trump müsste also bei einer Verurteilung ins Gefängnis, selbst wenn er wieder als Präsident gewählt würde. Was könnte das für Folgen haben?
Für diese Ausgangslage gibt es weder für Trump noch für das politische System der USA eine Blaupause. Es würde wahrscheinlich zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen. Das politische System stünde vor einer beispiellosen Integrationskrise. Entsprechend mag man sich darüber noch gar keine Gedanken machen.
Der Prozess könnte sehr bald stattfinden, allenfalls aber auch erst nach den Wahlen 2024. Was halten Sie für realistisch?
Die Koordination der diversen Anklagen und Verfahren im nächsten Jahr wird schon ohne den Wahlkampf ziemlich schwierig. Bei der Einzelstaatsklage, wo sich Trump nicht selbst begnadigen könnte, ist der Zeitdruck nicht besonders gross. Allerdings will man verhindern, dass ein amtierender Präsident allenfalls ins Gefängnis muss. Das dürfte dazu motivieren, den Prozess vor der Wahl abzuschliessen.
Trump und seine Anhängerschaft streiten sämtliche Vorwürfe ab. Kann es sein, dass Trump die Anklagen helfen?
Das mobilisiert zweifellos seine Kernanhängerschaft immer stärker. Trump kann sich wie 2016 immer noch als politischer Aussenseiter präsentieren, der jetzt politisch und gerichtlich verfolgt wird. Das spielt ihm in die Karten. Zugleich gibt es Umfragen, wonach fast die Hälfte der republikanischen Wählerschaft einen verurteilten Trump nicht wählen würde. Das ist allerdings ein ganz schmaler Grat, den Trump hier nimmt. Wie sich das entwickelt, wird sich im Verlauf der Anklage zeigen.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.