Der Spreu ist vom Weizen getrennt: Der Favorit, Boris Johnson, wird gegen den amtierenden Aussenminister, Jeremy Hunt, antreten. Einen Monat lang dürfen sie um die Gunst der konservativen Parteimitglieder buhlen.
Der erzwungene Abgang von Premierministerin Theresa May war ein unwürdiges Schauspiel. Gewiss, sie hatte sich in eine Sackgasse verrannt, aber die Verantwortlichen für ihr Scheitern sassen im Unterhaus hinter ihr, nicht gegenüber.
Die Kontrahenten
Nun also, nach zahlreichen Wahlgängen innerhalb der konservativen Parlamentsfraktion, sind die anfänglich elf Kandidaten auf zwei Anwärter reduziert worden: Der Favorit, Boris Johnson, ehemals Bürgermeister von London und wenig überzeugender Aussenminister, tritt gegen Jeremy Hunt an. Hunt, Kabinettsminister seit 2010, ist unter Kollegen beliebt aber etwas farblos. Er hatte jahrelang als Gesundheitsminister überlebt – was nicht selbstverständlich ist. Doch Hunt hat einen schwerwiegenden Makel: Er stimmte 2016 gegen den Brexit. Seither hat er seine Meinung geändert.
Nur Boris kann Boris verhindern
Die Liste der Lügen, Pannen und Indiskretionen von Boris Johnson ist lang. Dennoch bleibt er der Liebling der rund 160’000 Parteimitglieder, die überwiegend englisch, weiss und pensioniert sind. Sie wollen einen bedingungslosen Brexit, auch ohne Vertrag, auch um den Preis des Verlustes von Schottland und Nordirland.
Johnson wollte schon immer Premierminister werden. Und er will geliebt werden, das ist sein Hauptziel – es geht letztlich immer um Boris. Er gilt als geistreich und bringt die Leute zum Lachen. Aber er ist schludrig und wenig wählerisch mit seinen spassigen Wortspielen. Wenn die Parteimitglieder nun landauf, landab den Rededuellen zwischen Johnson und Hunt zuhören, werden sie auf derartige Patzer achten.
Fähiger Minister
Hunts Chancen, Premierminister zu werden, sind nicht berauschend. Doch er wird versuchen, die Widersprüche und die Unredlichkeiten von Johnson zu sezieren und blosszustellen. Der Sohn eines Admirals, Privatschüler, Oxford-Absolvent und erfolgreicher Verleger (er gilt als das reichste Mitglied des amtierenden Kabinetts) schwimmt allerdings gegen den Strom.
In der Kernfrage der nächsten Wochen, dem Brexit, hat Johnson bereits den bedingungslosen Austritt am 31. Oktober versprochen, doch niemand nimmt das gänzlich ernst. Hunt will ein klein wenig flexibler sein, hat aber auch kein Patentrezept. Ein neuer Mann in der Downing Street: die Liegestühle auf dem Deck der Titanic werden frisch aufgestellt.