Die Fernsehdebatte auf Channel 4 am Freitagabend begann mit einer überraschenden Frage des Moderators. «Ist Boris Johnson ein ehrlicher Mann?» «Gelegentlich», hört man als Antwort. Es sei keine einfache Zeit gewesen. «Ja und nein», meint Ex-Schatzkanzler Rishi Sunak. Seinen früheren Chef und damit auch sich selbst zu disqualifizieren, ist nicht einfach. Doch dann war es mit der Zurückhaltung schon vorbei.
Aussenministerin Liz Truss warf dem bisherigen Schatzkanzler eine sozialistische Steuerpolitik vor. Er sei schuld, dass die Bevölkerung unter der höchsten Steuerlast seit 70 Jahren leide. «Liebend gerne würde ich sagen, wir streichen diese und jene Steuer. Doch so funktionieren die Dinge nicht. Man kann einen Staatshaushalt nicht mit der Kreditkarte führen und einfach Schulden anhäufen», so Sunak. Das sei Sozialismus.
Transsexualität als Wahlkampfthema
Kein Thema war trotz Hitzewelle der Klimawandel. Erstaunlich viel Zeit nahm dagegen die Frage ein: «Was ist eine Frau?» Handelsministerin Penny Mordaunt hatte noch vor zwei Jahren im Parlament verkündet, auch Transfrauen seien Frauen. Zur Optimierung ihrer Wahlchancen beim konservativen Publikum ist sie inzwischen aber zurückgerudert.
Transfrauen werden nie so sein wie ich, nämlich eine biologische Frau.
«Ich anerkenne, dass es Menschen gibt, die in einem männlichen Körper geboren wurden, sich aber als Frau fühlen», sagte sie nun. «Aber selbst wenn ihr Status als Frau gesetzlich anerkannt ist, werden sie nie so sein wie ich, nämlich eine biologische Frau.» Eine Schulvorsteherin im Publikum holte die Kandidierenden nach 34 Minuten wieder auf den Boden der Realität zurück. Sie sagte: «Die meisten unserer Sekundarschülerinnen und -schüler im Norden Englands haben in ihrem Leben noch nie einen Arzt oder eine Zahnärztin gesehen.»
Die Kluft zwischen Arm und Reich habe sich in den letzten Jahren rasant vergrössert. «Arm zu sein, ist nicht mehr die Ausnahme, sondern die neue Normalität.» Seit Jahren gehe es nur noch bergab.
Was hier eigentlich los sei, wollte sie wissen. Die Frauen und Männer im Studio nickten betroffen und lächelten nervös. Die Konservativen sind seit zwölf Jahren am Ruder und können niemand anderem die Schuld für die Misere geben als sich selbst. Tom Tugendhat, der einzige, der nicht Regierungsmitglied war, prophezeite denn auch, was passiert, wenn die Partei die Dinge jetzt nicht auf die Reihe kriege: «Labour wird uns diese Bilanz bei den nächsten Wahlen genüsslich um die Ohren schlagen.»
Schmutziges Spiel geht weiter
Er mahnte: «Wir müssen endlich die besten Leute aufstellen, unsere Glaubwürdigkeit wiederherstellen und mit dem Chaos aufräumen.» Reden sei einfach, entgegnete die frühere Gleichstellungsministerin Kemi Badenoch. Wer noch nie Minister gewesen sei, habe keine Ahnung von Regierungsarbeit. Diese giftige Antwort ist symptomatisch.
Wir müssen endlich die besten Leute aufstellen, unsere Glaubwürdigkeit wiederherstellen und mit dem Chaos aufräumen.
Denn das Rennen um die Nachfolge von Johnson ist längst zur personalisierten Schlammschlacht eskaliert. Mordaunt wird in einzelnen Zeitungen als inkompetente Windfahne betitelt, Truss als wirtschaftspolitische Nullnummer, Sunak als Schlange oder Ratte.
Für Journalistinnen und Liebhaber von politischen Dramen könnten die kommenden Wochen, wenn sich die beiden letzten Bewerberinnen und Bewerber im ganzen Land der Parteibasis präsentieren müssen, interessant werden. Für die angeschlagene konservative Regierungspartei ist es dagegen eher ein weiteres blamables Trauerspiel.