In Irland strebt die stärkste Mitte-Rechts-Partei, Fine Gael, eine noch nie dagewesene vierte Amtszeit in Folge an und könnte diese am 29. November auch erreichen. Die linke Oppositionspartei, Sinn Féin, schwächelt. SRF-Grossbritannien-Korrespondent Michael Gerber klärt die drängenden Fragen.
Worum geht es?
Irlands Wählerinnen und Wähler gehen am 29. November an die Urne. Drei Wochen zuvor hat Premierminister Simon Harris die Koalitionsregierung vor Ablauf ihrer fünfjährigen Amtszeit im März nächsten Jahres aufgelöst.
Harris' Mitte-Rechts-Partei, Fine Gael, strebt eine noch nie dagewesene vierte Amtszeit in Folge an. Die Chancen dafür bleiben intakt, obwohl Harris‘ Partei in den letzten Umfragen von ihrem Vorsprung eingebüsst hat und die wichtigste Rivalin, die linke Oppositionspartei Sinn Féin, leicht zugelegt hat.
Wer sind die Hauptakteure und wie stehen ihre Chancen?
Irland hat zwei dominierende Mitte-Rechts-Parteien, Fine Gael und Fianna Fáil. Sie haben sich in den letzten hundert Jahren an der Macht abgewechselt. Nach den letzten Wahlen im Jahr 2020 gingen die beiden historischen Rivalinnen zum ersten Mal eine Koalition ein, der sich auch die kleinere Partei der Grünen anschloss.
Fine Gael und Fianna Fáil einigten sich 2020 darauf, den Posten des Premierministers im Laufe der Amtszeit zu tauschen. Im März 2024 trat der Vorsitzende von Fine Gael, Leo Varadkar, zurück. Harris, der wegen seiner Medienkompetenz als «Tiktok-Premier» bekannt ist, übernahm die Regierungsführung. Das gab seiner Partei neuen Schwung.
Unterdessen hat die führende Oppositionspartei – die linke, republikanische Partei Sinn Féin – seit Mitte 2022 an Popularität verloren. Sie hatte die Wahlen 2020 mit 24.5 Prozent Wähleranteil gewonnen und errang am zweitmeisten Sitze, nach Fianna Fáil. Gemäss Umfragen verliert Sinn Féin hauptsächlich an Boden – wegen einer unklaren Einwanderungspolitik und einer Reihe von Skandalen. Kurz vor dem Wahltermin liegt Sinn Féin mit knapp 20 Prozent Wähleranteil auf Platz drei, hinter Fianna Fáil (rund 22 Prozent) und Fine Gael (rund 25 Prozent).
Wie funktioniert Irlands Wahlsystem?
In Irland wird nach dem Verhältniswahlrecht gewählt. Das irische Unterhaus (Dáil) zählt künftig 174 Mitglieder, 14 mehr als nach den letzten Wahlen. Fast 700 Kandidierende treten zur Wahl an. Keine der 20 Parteien stellt jedoch genügend Kandidatinnen und Kandidaten, um allein eine Mehrheit zu erringen. Eine weitere Koalitionsregierung ist sicher.
Bei 20 oder mehr Kandidierenden in manchen Wahlkreisen kann die Auszählung mehrere Tage dauern, wie bei den Wahlen 2020.
Was sind die grössten Themen?
Die Lebenshaltungskosten sind ein grosses Thema im Wahlkampf. Ebenso die Finanzierung des Gesundheitswesens und die anhaltende Wohnungsnot in Irland. In Umfragen nannten 61 Prozent der Befragten im vergangenen Jahr die Wohnungssituation als eines der beiden drängendsten Probleme des Landes. Zum Vergleich: In der EU waren es zehn Prozent.
Auch das Thema Einwanderung und Asyl ist ein heisses Eisen. Die Zahl der Neuankömmlinge ist in diesem Jahr rekordverdächtig. Umfragen zeigen, dass fast zwei Drittel der Befragten sich strengere Kontrollen wünschen.