Für Marine Le Pen war es eine Provokation, als Emmanuel Macron zum Start der französischen EU-Ratspräsidentschaft die Europafahne im Arc de Triomphe wehen liess. Macron wolle mit diesem Symbol die französische Souveränität durch die europäische Souveränität ersetzen, kritisierte Le Pen lautstark. Die Europafahne steht für so ziemlich alles, was die langjährige Europaparlamentarierin ablehnt.
Kompletter Umbau der Europäischen Union
Die europaskeptische Politikerin möchte Frankreich aus den engen Strukturen der Europäischen Union und der Machtzentrale in Brüssel lösen. Allerdings spricht Le Pen nicht mehr von einem sogenannten «Frexit», also einem Austritt Frankreichs aus der EU, sondern sie fordert nichts weniger als ein neues europäisches Konstrukt. Sie strebt ein europäisches Bündnis der Nationen an, also die Rückkehr zu souveränen Nationalstaaten, die selbst entscheiden, was für Beziehungen sie zu anderen europäischen Staaten pflegen möchten.
«Die Umwandlung der Europäischen Union in ein europäisches Bündnis der Nationen bedeutet, Europa zu retten», sagte die Präsidentschaftskandidatin kürzlich an einer Medienkonferenz. Ein solches Nationenbündnis hätte so gar nichts mehr mit der heutigen EU zu tun. Das supranationale Gebilde fordert von den Mitgliedstaaten, dass diese einen Teil der Souveränität nach Brüssel abgeben.
Genau das möchte Marine Le Pen nicht. Viel eher schwebt ihr ein Europa à la carte vor, wie SRF-Korrespondentin Alexandra Gubser sagt: «Marine Le Pen möchte französisches über europäisches Recht stellen und dafür sorgen, dass Franzosen und Französinnen bei der Arbeitssuche und bei der Sozialhilfe gegenüber Zugewanderten einen Vorzug erhalten. Zudem möchte sie Freihandelsabkommen aufkündigen und strategische Allianzen beenden.» Das Ziel Le Pens sei es, Frankreich aus der Europäischen Integration herauszulösen.
Wenig Verbündete und ein lahmgelegter Motor
Auf europäischer Ebene wäre Le Pen nicht die einzige mit rechtsnationalen Ideen. Mit Viktor Orban, dem Ministerpräsidenten Ungarns, und mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki hat sie sich zuletzt für strategische Beratungen im Januar 2022 in Spanien getroffen. Der Krieg in der Ukraine könnte allerdings dazu führen, dass sich Polen von Le Pen distanzieren könnte. Ihre bisherige Nähe zu Wladimir Putin war bereits vor Kriegsbeginn ein Problem für Polen.
Auswirkungen hätte die Wahl Le Pens auch für den deutsch-französischen Motor. Bei einer Medienkonferenz kritisierte sie vor allem die deutsche Energiepolitik sowie die Verteidigungsstrategie scharf. Sie würde als Präsidentin jegliche Militärkooperation mit Deutschland beenden.
Bezüglich der europäischen Kooperation äusserte sich Le Pen hingegen zurückhaltender. «Der deutsch-französische Motor der EU ist heute praktisch eine Fiktion. Das heisst aber nicht, dass wir auf eine deutsch-französische Zusammenarbeit verzichten sollten.» Und spricht vor allem die kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen an.
Die Wahl Marine Le Pens zur Präsidentin hätte weitreichende Folgen für die EU. Sie würde wohl versuchen, zusammen mit Verbündeten wie Ungarn, die Mitgliedstaaten zu spalten und wichtige Entscheidungen im Europäischen Rat zu blockieren. Die Umstrukturierung zu einem Bündnis von Nationalstaaten wird sie kaum hinkriegen, dafür könnte sie mit einer Blockadepolitik das weitere Zusammenwachsen der EU stoppen.