Wolodymyr Selenski faltete kurz die Hände, während er vor 20’000 Menschen im grössten Fussballstadion der Ukraine niederkniet. Präsident Petro Poroschenko folgt dem Aufruf, es ihm gleich zu tun. Mit dem Rücken zum Publikum küsst Poroschenko kniend die ukrainische Flagge. Damit erreicht der Wahlkampf um das Amt des Präsidenten während der Debatte am Freitagabend einen fragwürdigen Höhepunkt.
Inszenierter Patriotismus
Den Kniefall provoziert hat Präsident Petro Poroschenko während Wochen im Wahlkampf. Er inszenierte sich als der stärkere Landesverteidiger im Konflikt mit Russland. Seinen Herausforderer Wolodymyr Selenski stellte er dar als einen, der vor dem Kreml den Bückling macht.
Diesen Vorwurf versuchte Selenski mit Patriotismus zu kontern: «Ich bin bereit, vor jeder Mutter niederzuknien, deren Sohn nicht aus dem Krieg nach Hause zurückkehrt ist.»
Am Rednerpult zeigte sich die langjährige Erfahrung des Präsidenten Poroschenko, der es versteht, sich in Szene zu setzen, als er sich von einem Soldaten mit Beinprothese die Hand schütteln liess. Die Inszenierung kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es dem Präsidenten Poroschenko in den vergangenen fünf Jahren nicht gelungen ist, den bewaffneten Konflikt im Osten der Ukraine zu beenden.
In der Enttäuschung über die Politik des Amtsinhabers Poroschenko liegt die wahre Stärke seines Herausforderer Selenski. Eine Mehrheit der Ukrainer zieht eine ungewisse Zukunft der frustrierenden Gegenwart vor. Die junge Generation in der Ukraine steht mehrheitlich hinter Wolodymyr Selenski, etwa die Studentin Julia: «Selenski ist eine neue Kraft in unserem Land. Sowieso kann es schlimmer als jetzt gar nicht werden.»
Fehlender Schulterschluss
Die beiden Lager der Kandidaten sind im Stadion von einem Korridor aus Sicherheitskräften getrennt. Fast schon symbolisch steht dieser Korridor für den Graben, der die ukrainische Gesellschaft durchzieht. Die Stimmung ist angespannt noch bevor die Kandidaten die Bühne betreten.
Ein Musiker wird von den Unterstützern des Präsidenten Petro Poroschenko ausgebuht, weil er auf Russisch singt. In den Liedern geht es, fern von Politik, um Liebe und dem Leben nach dem Tod. Die Buhrufe gelten in erster Linie der russischen Politik gegenüber der Ukraine. Doch für die angeheizte Stimmung ist auch Poroschenko verantwortlich. Er hat es versäumt, in seinem Wahlkampf Brücken zu bauen. Stattdessen schlug er mit nationalistischen Slogans weiter in die trennende Kerbe.
Stärke zum Schein
Im Stadion sind die Unterstützer des Präsidenten klar in der Mehrzahl. Draussen vor den Toren stehen Reisecars, mit denen viele von Poroschenkos Unterstützern in Gruppen angereist sind. Schon fast lachhaft klein wirkt da im Vergleich das Grüppchen, dass zur Unterstützung von Selenski vor der Bühne steht.
Es besteht kein Zweifel, dass Präsident Poroschenko weiss, wie man sich für die TV-Kameras ins richtige Licht rückt. Doch die Methoden wirken ein wenig verzweifelt, angesichts der Wahlumfragen. Wolodymyr Selenski wird diesen zufolge mit deutlichem Vorsprung zum neuen Präsidenten gewählt.