Von Bidsina Iwanischwili kannten die meisten Georgierinnen und Georgier lange nur Gerüchte. Es hiess, er sei in einem verarmten Dorf in Zentralgeorgien zur Welt gekommen. Er sammle exotische Tiere wie Zebras oder Pinguine.
In den wilden 1990er-Jahren in Russland sei er zum Oligarchen aufgestiegen, zunächst als Importeur von Tastentelefonen, dann als Bankier. Mit seinem Geld habe er Boris Jelzin bei der Wiederwahl geholfen. Als Iwanischwili endlich an die Öffentlichkeit trat, stellte sich bald heraus: Alles ist wahr.
Das war 2011, als Iwanischwili plötzlich ankündigte, sein Geschäft in Russland aufzugeben und in Georgien in die Politik zu gehen, als Chef der neu gegründeten Partei Georgischer Traum.
Damals gewährte Iwanischwili dem deutschen Filmemacher Stefan Tolz, der in Tiflis lebt, einige Audienzen. «Ich habe Iwanischwili als Denker kennengelernt, als einer, der sich nicht von seinen Emotionen leiten lässt.» Iwanischwili habe das Land wieder auf Kurs bringen wollen, erinnert sich Tolz, mit einem pragmatischen Verhältnis zum grossen Nachbarn Russland - für das kleine Georgien war dies keine unvernünftige Position. Aber Iwanischwili hielt fest am langfristigen Ziel, Georgien in die EU und die Nato zu führen.
Angst vor Krieg schüren
Heute klingt Bidsina Iwanischwili ganz anders. In einer grossen Rede im April 2024 teilte er gegen Georgiens angeblichen Erzfeind aus: die «globale Kriegspartei», die mithilfe der Nato und der EU Georgien zu einer zweiten Front im Ukrainekrieg machen wolle.
Die Angst vor einem Krieg mit Russland schüren, das ist Iwanischwilis Strategie für die georgischen Parlamentswahlen Ende Oktober.
Iwanischwili hat keine Ideologie. Er ist nicht pro-russisch, sondern glaubt an Deals.
In zwölf Jahren an der Macht hat die Regierungspartei die Demokratie in Georgien schrittweise abgebaut. Iwanischwili soll während dieser Zeit im Hintergrund die Fäden gezogen haben.
«Iwanischwili hat keine Ideologie», sagt der georgische Politologe Korneli Kakachia. «Er ist nicht pro-russisch, sondern glaubt an Deals. Zudem geschäftet er mit denjenigen, die seinen Politikstil nicht kritisieren. China oder Russland kümmern sich nicht um friedliche Machtwechsel in Georgien. Er fürchtet den Machtverlust, auch weil er dann für seinen autoritären Kurs zur Verantwortung gezogen werden könnte.»
Sein Ziel ist es nur, zu überleben.
Gia Chuchaschwili, der Iwanischwili am Anfang seiner Politkarriere beraten hat, stimmt dem zu. Er stieg aus, als er merkte, dass es der reiche Mann mit der Korruptionsbekämpfung nicht ernst meinte.
«Als Iwanischwili an die Macht kam, hat er wenig verändert», sagt Gia Chuchaschwili. «Sein Ziel ist es nur, zu überleben.» Das erkläre die faktische Abkehr von der EU-Perspektive, die Georgiens Regierung in den vergangenen zwei Jahren vollzogen hat.
«Als der Ukrainekrieg begann, rechnete Iwanischwili mit einem schnellen russischen Sieg», sagt Chuchaschwili. «Er bereitete sich auf eine neue russische Dominanz vor und brach die Verbindungen zum Westen weitgehend ab. Doch Russland hat weder gewonnen noch verloren. Jetzt steckt Iwanischwili in der Klemme.»
Dem deutschen Filmemacher Stefan Tolz sagte Iwanischwili einst, er ertrage die Belastung und Verantwortung der Politik nicht. Nach nur einem Jahr als Regierungschef trat er ab. Doch bis heute klammert er sich an die Macht. Tolz ist aber überzeugt: Trotz allem handle Iwanischwili zum Wohle Georgiens – zumindest nach seinem eigenen Verständnis.