Mai 2019. Das sogenannte Ibiza-Video schreckt Österreich regelrecht auf. Heinz-Christian Strache hatte sich, vor laufender Kamera, von einer angeblichen russischen Oligarchen-Nichte einseifen lassen. Es entstand der Eindruck, der rechtsnationale Strache, der später Vizekanzler wurde, sei käuflich. An diesem Skandal zerbrach die Regierung. Österreich schlitterte in die Krise.
In dieser erwies sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen als Fels in der Brandung: «Es sind Tage, die unübersichtlich erscheinen mögen. Aber es gibt keinen Grund, besorgt zu sein. Denn gerade in Zeiten wie diesen zeigt sich die Eleganz und Schönheit unserer österreichischen Bundesverfassung.» Die schöne Verfassung als Leitplanke und Van der Bellen am Steuer mit sicherer, ruhiger Hand.
Kanzler fällt, Bundespräsident stellt klar
Ähnliches wiederholte sich zwei Jahre später, im Herbst 2021. Damals war es Kanzler Sebastian Kurz, der das Land aufschreckte. Dessen engste Gefolgsleute sollen mit Steuergeld Wahlumfragen gefälscht und in Zeitungen publiziert haben. Und es wurden Chats publik von Kurz und seiner Entourage. Eine Prosa, die nicht druckreif ist, auch wegen derber, unflätiger Sprüche.
Erneut musste der Bundespräsident eingreifen und so einiges klarstellen: «Einmal mehr sehen wir ein Sittenbild, das der Demokratie nicht guttut. Wir hören einen Ton der Respektlosigkeit gegenüber Personen und Institutionen unseres Rechtsstaats, sowohl in einzelnen Chats als auch in aktuellen Äusserungen.»
Vor Van der Bellen trat ein österreichischer Bundespräsident meist als eine Art oberster Staatsnotar auf. Bundespräsidenten unterzeichneten Ernennungs- und Entlassungsurkunden von Bundeskanzlern oder Kabinettsmitgliedern. Und sie residierten in den imperialen Gemächern der Hofburg, die schon Kaiserin Sissi und ihr Franz-Joseph bewohnt hatten. Dort schüttelten sie die Hände ausländischer Staatsgäste.
Wenn jetzt nicht gehandelt wird, steuern wir auch auf ein massives Entsolidarisierungsproblem zu – und letztlich auf eine massive Gefährdung unserer Demokratie.
Van der Bellen aber musste deutlich mehr tun, er war gefordert: Korruptionsskandale, Regierungskrisen, Pandemie und nun der Krieg in der Ukraine. Der Bundespräsident sprach immer wieder zu diesen Krisen und sagte Entscheidendes, unlängst bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele.
«Unser schönes, viel geliebtes und viel geprüftes Österreich steuert auf ein massives Energie- und Teuerungsproblem zu. Wenn jetzt nicht gehandelt wird, steuern wir auch auf ein massives Entsolidarisierungsproblem zu – und letztlich auf eine massive Gefährdung unserer Demokratie.»
Herausforderer von der FPÖ
Van der Bellen befürchtet eine Entsolidarisierung, also schwere soziale Verwerfungen als Folge des Ukraine-Kriegs. Klare Worte, die aber nicht allen klar genug sind. Walter Rosenkranz von der rechtsnationalen FPÖ fordert den Amtsinhaber heraus. Rosenkranz möchte, falls er in die Hofburg einziehen sollte, noch politischer sein.
So sagte er dem ORF am Rande eines Volksfests: «Der Bundespräsident hat gemeint, er würde sich nicht in die Tagespolitik einmischen. Das heisst, er schweigt zu Sorgen wie der Teuerung und Freiheitsrechtsverletzungen. Als vom Volk gewähltes Staatsoberhaupt kann man dazu nicht schweigen.»
Es wird allgemein damit gerechnet, dass der Amtsinhaber Alexander van der Bellen deutlich wiedergewählt wird. Erreicht er schon am Sonntag mehr als 50 Prozent der Stimmen, dann schon im ersten Wahlgang.