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Wahlen in Taiwan entscheiden über Verhältnis zu China
Aus Echo der Zeit vom 03.01.2024. Bild: Keystone/Pei Chen
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 42 Sekunden.

Wahlen in Taiwan Ko Wen-je: der alles entscheidende dritte Kandidat

Das Abschneiden des ehemaligen Bürgermeisters von Taipeh, Ko Wen-je, wird den Ausgang der Präsidentenwahl auf Taiwan entscheiden.

Über 10'000 Anhängerinnen und Anhänger feuern Kandidat Ko Wen-je lauthals an. Für die Wahlveranstaltung in Tainan, eine der grössten Städte Taiwans, ist eine ganze Strasse abgesperrt.

Es sind auffällig viele junge Menschen darunter. Ein Student sagt, dass für die Jungen vor allem Mindestlohn, Wohnkosten und Ausbildung zählten. Und insbesondere im Bereich Wohnen habe Ko als Bürgermeister von Taipeh viel gemacht. «Da sieht man den Unterschied zu den anderen Kandidaten.»

Strasse mit Menschen
Legende: An Kos Wahlveranstaltung erscheinen mehr Anhängerinnen und Anhänger als von den Organisatoren erwartet. Das Publikum ist deutlich jünger als bei den anderen Kandidaten. Samuel Emch

Viele hier kennen Ko Wen-je vor allem aus den sozialen Medien. Dort ist der 64-jährige Ko deutlich präsenter als die anderen Kandidaten.

Ko vorne mit dabei

In einzelnen Umfragen lag Ko auch schon in Führung. Die meisten sehen allerdings den Kandidaten der Regierung vorne. Zwei Parteien haben sich auf Taiwan bis jetzt an der Macht abgewechselt. Bei den Wahlen Mitte Januar wird Ko als dritte Kraft nun eine entscheidende Rolle spielen.

Eine junge Familie verfolgt das Treiben auf der Bühne. Die Mutter sagt, sie habe früher die beiden grossen Parteien gewählt. Aber «wenn eine Partei regiert, scheint die andere die bessere Wahl zu sein. Und umgekehrt».

Wahlkampfveranstaltung
Legende: Der 64-jährige Ko Wen-je verkauft sich als der Kandidat, der nicht korrupt ist. Samuel Emch

Der Verdruss über die beiden etablierten Parteien sei eine wichtige Erklärung für Kos Popularität, sagt auch Jou Yi-cheng, Beobachter und regelmässiger Kommentator der politischen Geschehnisse auf der Insel.

Wechselnde Meinungen

«Immer mehr junge Leute können sich nicht mehr mit den etablierten Parteien identifizieren», sagt Jou Yi-cheng. Diese seien in ihrer Geschichte gefangen und die Jungen suchten etwas Neues. Etwas, das nicht in der jahrzehntelangen Diktatur verwurzelt sei und auch nicht im Kampf gegen diese. Taiwan brauche eine neue, eine dritte politische Kraft.

Man und Frau mit Kind in Kinderwagen.
Legende: Viele junge Menschen hoffen auf Ko. Auch solche, die früher die beiden etablierten Parteien gewählt haben. Samuel Emch

Allerdings meint Jou mit Blick auf Kandidat Ko Wen-je: «Die Leute wünschen sich so sehr eine neue politische Kraft, dass sie sich sogar mit einer minderwertigen Lösung zufriedengeben.» Ko sei ein Opportunist und habe keine festen Werte. «Er macht Aussagen basierend auf Umfragen und danach, wie gerade der Wind weht in den sozialen Medien.» Das sei vor allem in der Aussenpolitik heikel. Dort gehe es darum, einen Krieg mit China zu vermeiden.

An der Wahlveranstaltung ändert Ko Wen-je gerade einmal mehr seine Meinung und gibt SRF News, anders als angekündigt, ein Interview im Minibus: Ist Ko eine Fahne im Wind? Nein, als ausgebildeter Chirurg sei er einfach praktisch veranlagt.

Wissenschaft als Vorbild

«Was ist der Unterschied zwischen Wissenschaft und Religion? In der Religion gibt es Dinge, die man nicht ändern kann. In der Wissenschaft kann man neue Erkenntnisse gewinnen und seine Meinung anpassen. Politik sollte mehr wie Wissenschaft sein», ist Ko überzeugt.

Und wie würde er als Präsident die angespannten Beziehungen mit China angehen? «Zuerst werden wir in kulturellen und sportlichen Bereichen die Zusammenarbeit suchen, dann wirtschaftlich. Politische Differenzen besprechen wir am Schluss.» Ob sich China darauf einlassen würde, ist fraglich.

Zwei Männer
Legende: Politik sollte mehr sein wie Wissenschaft und nicht wie Religion, sagt Ko Wen-je, rechts, im Interview mit SRF-Korrespondent Samuel Emch und begründet damit seine häufigen Meinungswechsel. Samuel Emch

Ko schiebt nach: «Die beiden grossen Parteien diskutieren seit 30 Jahren über Wiedervereinigung mit oder Unabhängigkeit von China. Im Moment ist keines davon realistisch. Die Diskussion ist also für nichts.»

Deutliche Worte. Auch dafür ist Ko bekannt. Das mögen seine Anhängerinnen und Anhänger. Ob er damit genügend Leute überzeugen kann, bleibt fraglich. Klar ist: Er wird den anderen Kandidaten viele Stimmen wegnehmen und bleibt deshalb die zentrale Figur für die Wahl am 13. Januar.

Echo der Zeit, 3.1.2023, 18 Uhr

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