Am Sonntag geht in Weissrussland mit der Präsidentschaftswahl das wichtigste politische Ereignis des Jahrzehnts über die Bühne – unter fast vollständigem Ausschluss der internationalen Öffentlichkeit. Ausländische Medien wurden kaum ins Land gelassen und zum ersten Mal seit 2001 sind keine OSZE-Wahlbeobachter von Weissrussland eingeladen worden.
Das ist kein Zufall, sondern Strategie des weissrussischen Staatsoberhaupts. Auch nach 26 Jahren im Amt scheint Lukaschenko nicht im Traum daran zu denken, sich fairen Wahlen zu stellen. An seinen Methoden hat sich seit 1994 wenig verändert: Oppositionelle, die er für starke Konkurrenten hält, lässt er nicht kandidieren. Demonstrierende werden ebenso festgenommen, wie Journalistinnen und Journalisten. Im Land füllen sich die Gefängniszellen erneut mit politischen Gefangenen.
Absehbare Ausgangslage
Niemanden im Land überrascht es, dass Lukaschenko zu repressiven Mitteln greift, wenn es um seinen Machterhalt geht. Doch im europäischen Ausland tun sich viele Regierungen schwer damit, den Tatsachen ins Auge zu blicken.
Auch die Schweiz versteckt sich hinter Worthülsen, wenn man sich zur Position zu Weissrussland erkundigt. Es wird keine klare Kritik geäussert über die offensichtlich unfreien Wahlen und die Repression gegenüber Oppositionellen.
Es ist erst ein halbes Jahr her, seit zum ersten Mal überhaupt ein Schweizer Regierungsmitglied auf Staatsbesuch in Weissrussland war. Bundesrat Ignazio Cassis wurde im Februar von Alexander Lukaschenko empfangen. Schon damals war klar, dass Lukaschenko zum Sieger der Wahlen im Sommer erklärt werden würde.
Ein Autokrat bleibt ein Autokrat
Offizieller Anlass des Besuches von Cassis war die feierliche Eröffnung der Schweizer Botschaft. In diesem Zusammenhang gab Bundesrat Cassis SRF ein Interview. Dabei wurde Cassis folgende Frage gestellt: «Sie sehen dennoch eine Möglichkeit für eine wirklich demokratische Entwicklung in diesem Land, wenn der Machthaber selbst von sich sagt, er sei ein Autokrat?» Die Antwort des Schweizer Aussenministers: «Umso mehr, da er sich gegenüber dem Westen öffnet! Umso mehr müssen wir dabei sein, denn wir können genau die richtigen Impulse in die richtige Richtung geben. Und wir spüren, dass Lukaschenko heute viel offener ist als vor zehn Jahren.»
Prüfstein für demokratische Werte
Nach den Entwicklungen der vergangenen Monate kann von einer richtigen Richtung nicht die Rede sein. Man mag aufgrund diplomatischer Gepflogenheiten den Ausgang der Wahl abwarten, bevor man sich deutlicher äussert. Es wäre aber angebracht, klar zu kommunizieren, denn die Entwicklung ist höchstens in ihrem Ausmass überraschend, aber nicht in ihrem Kern.
Ein wenig mehr Farbe könnte sich die Schweiz leisten. Man sitzt keiner Weltmacht gegenüber, sondern einem Land mit knapp einer Million mehr Einwohnern als die Schweiz und vergleichsweise geringer handelspolitischer Bedeutung. Wenn man wirklich an einer demokratischen Entwicklung interessiert ist, sollte man sich nicht länger einen Autokraten schönreden.