Am 9. August sind in Belarus Präsidentschaftswahlen. Alexander Lukaschenko, der seit 26 Jahren an der Macht ist, sieht sich mit einer Zivilgesellschaft konfrontiert, die einen Wechsel will. Darauf reagiert er mit Repression: Er verhaftet seine Gegenkandidaten. Am Donnerstag wurde ein zweiter Rivale, der Bankmanager Viktor Babariko, festgenommen. Die bevorstehende Wahl sei denn auch anders als alle bisherigen, sagt der Journalist Denis Trubetskoy.
SRF News: Warum wurde Viktor Babariko festgenommen?
Denis Trubetskoy: Babariko ist der aussichtsreichste Gegner von Alexander Lukaschenko. Er hat nach eigenen Angaben rund 400'000 Unterschriften für seine Kandidatur gesammelt. Das ist viel, in Belarus wohnen weniger als zehn Millionen Menschen. In Umfragen auf Internetseiten – richtige Umfragen sind in Belarus verboten – hat er den ersten Platz belegt.
Die Vorwürfe gegen Babariko sind in erster Linie politische Verfolgung.
Daher ist davon auszugehen, dass die Steuerhinterziehungsvorwürfe gegen ihn in erster Linie eine politische Verfolgung sind. Babariko hat 20 Jahre lang eine erfolgreiche Privatbank geleitet, in viele gemeinnützige Projekte investiert und ein hohes Ansehen gehabt. Ich denke, dass man angezweifelt hat, dass Lukaschenko mit diesem Gegner im ersten Wahlgang ein gutes Ergebnis erzielen wird.
Also fühlt sich Lukaschenko bedroht von Babariko – wie von anderen Kandidaten auch, die er schon verhaften liess...
Genau. Neben Babariko gibt es noch zwei weitere spannende Kandidaten (Sergej Tichanowski und Waleri Zepkalo, Anm. d. Red.). Aber diese Wahl ist anders als alle anderen zuvor. Hier steht Lukaschenko nicht nur die zum Teil nationalistische Opposition gegenüber, die nur sehr wenige Menschen anspricht; es sind nicht irgendwelche «verrückte» Oppositionelle. Das macht das Leben für Lukaschenko viel komplizierter als sonst.
Leute in Minsk gehen auf die Strasse. Gab es das in dem Ausmass schon einmal zuvor?
Am Donnerstag gab es in Minsk eine Kette der Solidarität, und das war aus meiner Sicht ungewöhnlich. Nicht nur deswegen, weil ein paar Tausende daran teilgenommen haben und die Kette mehrere Kilometer lang war und es sieben Stunden dauerte. Es war in erster Linie sehr spontan und gemischt. Normalerweise gibt es in Belarus einen kleinen Kreis der zum Teil nationalistischen Opposition, der an den Protesten teilnimmt. Die Weissrussen, die von Lukaschenko wenig halten, haben Angst, öffentlich über die Politik zu reden – von Protestaktionen ist im grösseren Sinne meist keine Rede. Da weht nun ein anderer Wind.
Warum zeigen die Weissrussen plötzlich offenen Widerstand?
Man hat jetzt vernünftige Alternativen. Aber auch Lukaschenkos totale Ignoranz der Corona-Pandemie war wichtig. Belarus hat ein besseres Gesundheitssystem als manche westeuropäische Länder. Aber es gab vereinzelt seriöse Ausbrüche. Eigentlich ist es ein Wunder, dass es nicht schlimmer gekommen ist. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der aktuelle Streit mit Russland, der das Land vor wirtschaftliche Probleme stellt.
Kommt nun eine grosse Repressionswelle auf die Opposition zu?
Belarus hatte vor fünf Jahren eine Reihe von politischen Prominenten freigelassen, um die EU-Sanktionen loszuwerden. Ich denke aber, für Babariko und den anderen Kandidaten Waleri Zepkalo sieht es schlecht aus. Wenn wir auf die Geschichte von Belarus zurückblicken, gab es praktisch keinen prominenten Beamten oder Unternehmer, der in die Opposition wechselte und nicht im Gefängnis landete. Lukaschenko zieht die Sache durch.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.