Wohlfühlmusik plätschert in The Villages aus dem Lautsprecher. Nur unterbrochen von einem Moderator des konservativen Senders Fox News, der die neusten Nachrichten zu den Präsidentschaftswahlen und das Wetter vorträgt. «Another great weekend in The Villages!»
Die sauberen Strassen führen an bunt gestrichenen Häusern mit US-Flaggen vorbei, an akkurat geschnittenen Rasen und Büschen. Dazwischen fahren Seniorinnen und Senioren in ihren Golfwagen vorbei, nicht selten ist ein Trump/Pence-Wahlplakat am Wagen festgemacht. An den Laternen hängen kleine Fahnen mit der Aufschrift: Floridas freundlichste Heimatstadt.
«Das Leben hier ist paradiesisch, jeder macht was er will und findet leicht Freunde. Wir alle wollen einfach Spass haben», erzählt Gina Waterhouse, die sich mit ihrer Freundin Velmina Korman trifft. Sie sitzen auf ihren Campingstühlen an einem lauschigen Platz im Schatten. «Es gibt so viele Aktivitäten, an denen man hier teilnehmen kann. Man muss es sich vorstellen wie ein Kreuzfahrtschiff – an Land», sagt Korman. Golf ist nur eine von vielen Freizeitaktivitäten.
Wie Disneyland für Pensionierte
Die Villages sind eine Seniorensiedlung mit mehreren Quartieren, die nach einem bestimmten Thema gestaltet sind. Wir treffen die beiden Frauen in Lake Sumter Landing. Der zentrale Platz und die Häuser an der Seepromenade sind dem Urlaubsort Cape Cod nachempfunden. Wer in dieser aufgeräumten Seniorensiedlung wohnen möchte, muss über 55 Jahre alt sein. Täglich gibt es Live-Musik, auf dem zentralen Platz wird getanzt. Fast alle Bewohnerinnen und Bewohner sind weiss und zwei Drittel von ihnen wählten vor vier Jahren Donald Trump.
Ungebrochene Begeisterung für den Präsidenten zeigt sich in Form von Golfwagenparaden. Die Gefährte dienen hier als Fortbewegungsmittel – und Wahlkampfvehikel. Denn Wahlplakate an den Häusern sind verboten. Vor allem die Republikaner zeigen so ihre Unterstützung für US-Präsident Donald Trump: Mit geschmückten Wagen und mit diversen Accessoires, eingekleidet in den amerikanischen Nationalfarben.
Enthusiasmus für Donald Trump
Ein Mann ist ganz als Donald Trump verkleidet, bei 30 Grad in Anzug und Krawatte. «Wenn Donald Trump seine Rallies so halten kann, dann schaffe ich das auch», sagt er und verteilt Schilder an andere Paraden-Teilnehmer. Es sind Hunderte der kleinen Wagen, die sich auf einem Parkplatz besammeln.
«Ich will keinen Sozialismus, ich will die Mauer, und dass China kein Virus schickt», sagt er. Zwei Frauen loben, dass Trump nichts verstecke. Und dessen Steuererklärung, die er entgegen der Tradition von US-Präsidenten verschlossen hält? «Wie jeder Geschäftsmann, ich würde meine Steuererklärung auch nicht zeigen. Aber er sagt, er wird es vielleicht noch tun», verteidigen die beiden den Präsidenten. Auf Trump lässt hier niemand etwas kommen. «Er ist ein New Yorker, er übertreibt ein bisschen. Er ist nicht perfekt, aber perfekt für den Job. Er lügt nicht. Aber Biden lügt zu allem», entgegnet uns ein anderer Mann.
Kurz vor dem Wahltag tritt Donald Trump in The Villages auf. Kurzfristig angekündigt, landet der Präsident höchstpersönlich auf dem Polo-Feld des Ortes. Ein Zeichen dafür, wie entscheidend die Seniorinnen und Senioren sind, und wie wichtig es für ihn ist, Florida zu gewinnen. Der grosse Auftritt vor grossem Publikum – wie wenn es keine Pandemie gäbe. Tausende strömen zu dem Anlass, die wenigsten tragen eine Maske. Die Stimmung gleicht der an einem Popkonzert. Auf dem Heimweg sagt ein Mann im Vorbeigehen: «Ich erlebte grade eine religiöse Erfahrung». Die Menschen ziehen glücklich von dannen.
Über Trumps Art bin ich nicht begeistert. Ich finde ihn sehr grob. Da muss ich manchmal Augen und Ohren verschliessen.
Viele hier verehren Trump als Retter Amerikas, der das Land vor dem Untergang bewahrt, fast wie wenn ihn der Himmel geschickt hätte. Doch andere unterstützen Trump einfach wegen dessen Politik: tiefe Steuern, gegen Abtreibung, für Waffenbesitz. So auch Gina Waterhouse. Sie hat Trump gewählt, weil sie eine Unternehmerin war. «Trump ist gut für die Wirtschaft, er muss die Steuern nicht erhöhen. Was die Demokraten alles wollen – ich weiss nicht, woher wir das Geld dazu nehmen sollen», sagt sie. «Über Trumps Art bin ich nicht begeistert. Ich finde ihn sehr grob. Da muss ich manchmal Augen und Ohren verschliessen», sagt sie.
Ihre Freundin hat dagegen Joe Biden gewählt. Sie ist eine Wechselwählerin, wünscht sich nun einen präsidialeren Stil und kann sich auch mit der Politik von Biden anfreunden. Normalerweise sprechen sie nicht über Politik. «Es ist ein roter Knopf hier», sagt Velmina Korman.
Einige Konservative wenden sich von Trump ab
Die mehrheitlich konservativen Senioren hier haben Trump vor vier Jahren zum Wahlsieg verholfen. Doch nun zeigen Umfragen: Joe Biden kann bei Senioren punkten, könnte landesweit gar bei über 65-Jährigen eine Mehrheit erreichen.
Die Demokraten in The Villages sind vorsichtig optimistisch. Auch wenn in ihrem Bezirk die Mehrheit weiterhin konservativ wählen wird, wollen sie Trump immerhin möglichst viele Stimmen abnehmen. Denn jede Stimme weniger in der konservativen Hochburg helfe mit, dass Joe Biden Florida gewinne, so ihr Kalkül.
Die Präsidentin der Demokraten in den Villages, Chris Stanley, sagt: «Es gibt einen steten Strom von Republikanern, die zu uns ins Hauptquartier kommen. Manche wollen ihre Parteiregistrierung ändern. Aber die meisten wollen einfach helfen, Donald Trump zu besiegen.»
Die Politik Trumps zur Covid-Pandemie spiele aber bei den wenigsten Bewohnern die Hauptrolle, sagt Stanley. Der Grund dafür, dass sich Pensionierte von Trump abwenden, sei vor allem die Angst, dass er die Altersvorsorge abschaffe. Und viele könnten die Lügen und die hasserfüllte Sprache nicht mehr aushalten, sagt Stanley. Sie und ihre Helferinnen arbeiten lange Tage für einen Sieg von Joe Biden, wollen möglichst viele Wählende mobilisieren.
Joe Biden – ein «guter Typ»
Abends ist Partystimmung in den Villages. Zwar wurden einige Aktivitäten wegen des Coronavirus abgesagt. Die Aussensitzplätze von Bars und Restaurants sind trotzdem voll mit Menschen. Schliesslich treffen wir am Rand des Platzes einen Republikaner von altem Schrot und Korn, der von weitem der Livemusik zuschaut. Für ihn ist Trump untragbar geworden.
«Das letzte Mal war ich mit beiden Kandidierenden unzufrieden, ich habe deshalb keinen von beiden gewählt. Dieses Mal habe ich mich gegen meine Partei entschieden. Ich bin schon mein ganzes Leben lang als Republikaner registriert. Aber ich werde für Biden stimmen», erzählt Ron Strack. Joe Biden sei etwas trocken, aber er scheine ein guter Typ, der mit allen gut auskomme. Er habe gesehen, welchen Schaden Trump angerichtet habe, meint Strack. Seine politische Meinung hängt er hier aber nicht an die grosse Glocke.
In den Villages ist die Welt fast zu idyllisch, um echt zu sein. Die Menschen sind gut gelaunt und geniessen den Lebensabend. Die Unterstützer des Präsidenten sind enthusiastisch und überall sichtbar. Doch etwas leiser gibt es in Trumps Hochburg auch jene, die sich von ihm abgewandt haben.