Am Sonntag wäre in Polen eigentlich eine Präsidentenwahl angesetzt gewesen. Seit Wochen stand zur Debatte, ob sich diese Wahl in Coronazeiten überhaupt durchführen lässt. Ja, meinte Polens mächtigster Mann, der Präsident der Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski. Unter keinen Umständen, sagten alle anderen. Nun hat man sich geeinigt – die Wahl wird verschoben, auf den Sommer. Das sei weder ein Sieg noch eine Niederlage für Kaczynski, sagt Osteuropa-Korrespondentin Sarah Nowotny.
SRF News: Sind nun alle zufrieden mit der Verschiebung der Wahl?
Sarah Nowotny: Nein. Jaroslaw Kaczynski hat zwar auf das Datum im Mai verzichtet, aber er hat mehr oder weniger in Eigenregie entschieden, dass die Wahl nun stattdessen im Sommer stattfinden soll. Es ist diese Willkür beim Festlegen von Wahlterminen, die vielen in Polen nicht gefällt. Denn Kaczynski ist ja eigentlich nur ein Parlamentarier und Parteipräsident. Und dass er in dieser Position entscheiden kann, wann Wahlen stattfinden, stört viele.
Warum wollte Kaczynski unbedingt jetzt diese Wahl, obwohl sie offensichtlich aus praktischen Gründen nicht durchführbar gewesen wäre?
Kaczynski wollte diese Wahl, weil er seine Macht in Gefahr glaubte. Er lebt dafür, dieses Land zumindest aus dem Hintergrund zu regieren. Und damit er diese Macht behalten kann, braucht er einen Präsidenten, der mehr oder weniger auf ihn hört. Präsident Andrzej Duda ist ein Mann von Kaczynskis Gnaden. Kaczynski befürchtet, dass Duda, wenn die Wahl später stattfindet, so unbeliebt sein wird, dass er nicht wiedergewählt wird. Dies, weil man auch in Polen Angst vor einer gigantischen Wirtschaftskrise wegen Corona hat.
Hat sich Kaczynski denn jetzt trotzdem durchgesetzt?
Er ist mit seinem Wunsch, dass diese Wahlen im Mai stattfinden, gestolpert, aber nicht umgefallen. Es ist keine Niederlage und kein Sieg. Die Verschiebung ist ja nun relativ kurz. Wenn diese Wahlen im Sommer stattfinden, hat sein Präsident immer noch gute Chancen, zu gewinnen.
Es ist keine Niederlage und kein Sieg. Die Verschiebung ist ja nun relativ kurz.
Das Wichtigste, warum er sich nicht durchgesetzt hat, aber auch nicht umgefallen ist: Man kann immer noch sagen, die wichtigsten Entscheidungen im Land fallen im Moment eben nicht gemäss den Regeln, auf die man sich demokratisch geeinigt hat, sondern es entscheidet ein Mann: Kaczynski.
Er ist Parteichef, aber nicht Staatspräsident, oberster Richter oder sonst wie befugt, solche Entscheide zu treffen. Wie schafft Kaczynski das?
Er schafft das einerseits, indem er Zuckerbrot bietet. Es ist in den letzten Tagen durchgesickert, dass Kaczynskis Leute versucht haben, Parlamentarier mit hohen Posten in Staatsbetrieben und mit Geld zu ködern, damit sie doch noch Ja sagen zum Termin im Mai. Der zweite Grund für Kaczynskis Erfolg ist sicher, dass er für eine ganze Schicht von marginalisierten Leuten, die sich von der Elite nicht ernst genommen fühlen, eine Art Identifikationsfigur ist.
Jetzt, da seine Partei die mächtigste Partei in Polen ist, versucht er mit allen möglichen Methoden, an dieser Macht festzuhalten.
Das kommt daher, dass Kaczynski früher mit dem berühmten Lech Walesa den Kommunismus bekämpft hatte, er war ein enger Vertrauter von ihm und wurde dann später zur Seite geschoben. Und das hat ihn offenbar so gekränkt, dass er seither ganz oft versucht hat, an die Macht zu kommen. Jetzt, da seine Partei die mächtigste Partei in Polen ist, versucht er mit allen möglichen Methoden, an dieser Macht festzuhalten.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.