Die ungarische Bevölkerung schrumpft, mittlerweile auf unter 10 Millionen. Weil die Regierung von Viktor Orban keine Zuwanderung will, sollen ungarische Frauen mehr Kinder bekommen. Die Regierung bietet Frauen bis 40, die zum ersten Mal heiraten, günstige Kredite. Familien bekommen billige Hypotheken, Grossfamilien einen Zustupf ans neue Auto. Mütter von vier Kindern und mehr müssen für den Rest ihres Lebens keine Einkommenssteuern bezahlen.
2.1 Kinder soll die Durchschnittsungarin künftig zur Welt bringen, zurzeit sind es im Schnitt 1.5 Kinder. Zilia Bender würde gerne mithelfen, die 2.1 zu erreichen. Auf einem Spielplatz in Budapest schaukelt sie ihre zweijährige Tochter Philomena. Im Arm trägt sie die fünf Monate alte Lisabetta. Ihr Mann hätte gern noch einen Jungen.
Die neue Familienpolitik in Ungarn ist ganz auf ihrer Linie. Die 33-jährige Soziologin hat zu Familienfragen geforscht: Sie sagt, das Geld der Regierung ändere nichts daran, ob eine Frau sich ein Kind wünsche oder nicht, aber es ermögliche vielen, rascher ein weiteres Kind zu haben, auch ihr selbst: «Bevor Orban das neue Programm ankündigte, dachten wir, wir müssten Geld sparen, um uns zuerst ein Haus und dann ein drittes Kind leisten zu können.»
Das sei nun anders: Mit dem neuen Programm bekommen sie und ihr Mann eine günstige Hypothek. «Die neue Familienpolitik der Regierung belohnt jene, die nicht nur Kinder auf die Welt stellen, sondern sich auch überlegten, wie sie diese Kinder finanzieren», sagt die Fidesz-Anhängerin.
Auf einem anderen Kinderspielplatz in Budapester sitzt die Politologin Eszter Kovats. Sie arbeitet für eine sozialdemokratische Stiftung und findet, dass die neuen Kredite, Zustüpfe und Steuererlasse unfair seien: «Sie sind sehr auf die Mittel- und Oberschicht ausgerichtet. Die Leute in benachteiligten Regionen, die Schichtarbeiter, die Mindestlohnverdiener, sie alle können von diesen tollen Versprechen nicht profitieren.»
Denn die Wenigverdiener haben trotz Familienförderung zu wenig Geld, um eine Hypothek zu bekommen. Sie können sich trotz staatlichem Zustupf kein grosses Auto leisten. Und eine Mutter von vier Kindern, die schlecht verdient, hat wenig davon, wenn ihr die Einkommenssteuer erlassen wird.
Eszter Kovats bezweifelt, dass mehr Kinder zur Welt kommen werden. «Es geht nicht darum, dass wir keine Kinder wollen. Ein Gehalt reicht nicht für eine Familie. Und da schlägt sich die Regierung nicht auf die Seite der Familien, sondern auf die Seite der Arbeitgeber.»
Das jüngste Beispiel für die familienunfreundliche Wirtschaftspolitik der ungarischen Regierung sei das neue Arbeitsgesetz. Es erlaubt Firmen, bis zu 400 Überstunden im Jahr anzuordnen.
«Wenn Orban mehr ungarische Kinder und gleichzeitig mehr Frauen auf dem Arbeitsmarkt will, dann müssen die Löhne steigen; die Arbeitszeiten müssen familienfreundlicher werden – und es braucht mehr Plätze in Alters- und Pflegeheimen», so Kovats.
«Die Kitaplätze und die ungarischen Babys werden kommen»
So unterschiedlich die Einstellungen auf den beiden Spielplätzen sind, in einem Punkt sind sich die linke Politologin und die Orban-treue Soziologin einig: Es ist eine gute Sache, dass die Regierung bis in drei Jahren über 20’000 neue Kita-Plätze schaffen will. Aber: «Auch wenn sie die Gebäude hinstellen, ich sehe nicht, wer dort arbeiten soll», so Bender. Die Löhne von Kita-Betreuerinnen seien miserabel. Im Büro von Viktor Orban heisst es auf Anfrage nur: «Die Kitaplätze und die ungarischen Babys werden schon kommen».