Auf die Minute pünktlich erscheint Ngozi Okonjo-Iweala am Bildschirm im Zoom-Call. Nur um dann doch nochmals kurz für einen Telefonanruf zu verschwinden. «Der nigerianische Aussenminister sagt, ich soll zuerst das Interview machen. Das ist nicht einfach für einen Aussenminister, die sind ja immer in Eile.»
Ngozi Okonjo-Iweala weiss, wovon sie spricht. Sie war selbst einst Aussenministerin von Nigeria und insgesamt sieben Jahre lang Finanzministerin. Den Rest ihrer Karriere hat die 66-Jährige vor allem der Weltbank gewidmet. Ein Vierteljahrhundert war die Ökonomin dort tätig und stieg bis zur Vizepräsidentin auf.
Die Nigerianerin, die seit einem Jahr auch die US-Staatsbürgerschaft besitzt, sitzt in diversen Verwaltungsräten von der Standard Chartered Bank bis zu Twitter. Mehrfach wurde sie zu einer der einflussreichsten Frauen der Welt gekürt.
WTO in der Krise
Die Welthandelsorganisation steckt in der tiefsten Krise seit ihrer Gründung 1995. Die Mitgliedsländer sind derart zerstritten, dass sie sich nicht einmal auf einen Übergangschef einigen konnten.
Die Doha-Runde, welche die Handelsbedingungen zwischen den WTO-Mitgliedstaaten neu regeln sollte, wurde vor zwei Jahrzehnten begonnen und nie zu Ende geführt. Und auch der Welthandel steckt in der Krise: zunehmender Protektionismus, der Handelskrieg zwischen USA und China.
Es kann nicht sein, dass reiche Länder sich den Impfstoff vorzeitig sichern und für die armen Länder bleibt nichts mehr übrig.
Selbst in der Corona-Pandemie manifestiere sich der gewachsene Nationalismus der letzten Jahre, so Ngozi Okonjo-Iweala: «Da ist der Impf-Nationalismus. Doch es kann nicht sein, dass reiche Länder sich den Impfstoff vorzeitig sichern und für die armen Länder bleibt nichts mehr übrig.»
In den WTO-Regeln gäbe es Möglichkeiten in einer globalen Gesundheitskrise Impfungen allen zugänglich zu machen, ohne das Recht auf geistiges Eigentum zu verletzen. Die WTO könne und solle auch in der Gesundheitskrise eine wichtige Rolle spielen, ist die Anwärterin auf den WTO-Chefposten überzeugt.
Handel als Mittel zur Armutsreduktion
Dass der Nigerianerin gerade das Thema Impfungen ein Anliegen ist, überrascht nicht. Sie ist Vorsitzende der Impfallianz Gavi, einer Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft mit dem Ziel, den Zugang zu Impfungen zu verbessern. Doch auch sonst, dringt ihre jahrelange Tätigkeit als Entwicklungsökonomin im Gespräch immer wieder durch.
Handel hilft den Ländern aus der Armut herauszukommen.
Ngozi Okonjo-Iweala sieht in der WTO ein Instrument, um die armen Länder zu unterstützen. Oft spricht sie von Solidarität. Sie sieht den Welthandel nicht als Ziel, sondern als Mittel zum Zweck.
«Handel hilft den Ländern aus der Armut herauszukommen», so die 66-Jährige. Darum müsse es Aufgabe der neuen WTO-Direktorin sein, alle Länder einzubinden und sich gegen Ungleichheit einzusetzen. Die WTO als Schiedsrichterin, die die Regeln so aufstellt, dass auch die Schwachen im Welthandelsspiel gewinnen können.