Zwei Milliarden Menschen sind von der Gletscherschmelze im Himalaja bedroht. Das zeigt eine wissenschaftliche Studie des International Centre for Integrated Mountain Development in Kathmandu, die die Kryosphäre (siehe Box) untersucht hat. Die wichtigste Erkenntnis ist, dass die Gletscher im Himalaja in den Jahren 2020 bis 2022 schneller schmolzen als noch im Jahrzehnt zuvor. Sie nahmen in diesen Jahren durchschnittlich 65 Prozent mehr ab. Auch die Schneedecke nimmt ab.
Gletscherschwund: 65 Prozent schneller
Jakob Steiner, Mitautor der Studie, erläutert diese Zahl mit einem Vergleich. «In den Jahren 2000 bis 2010 hatten wir im Durchschnitt einen Schwund der Masse von 17 Zentimetern.» Steiner spricht von vertikalem Eisverlust, dem Verlust in der Dicke der Gletscher. «Dieser Wert ist auf 30 Zentimeter gestiegen.» Für Laien klinge das nicht nach viel, so Steiner, aber wenn man alle Gletscher im Himalaja zusammennehme, sei es ein gravierender Masseverlust.
Der untere Teil dieses Gletschers, der regelmässig von Steiner und seinem Team vermessen wird, hat im Jahr 2022 zwei Meter an Dicke verloren. 2022 sei ein schlechtes Jahr gewesen, so der Forscher, das habe sich auch in den Alpen gezeigt. «Einen so extremen Rückgang habe ich in den letzten 15 Jahren, in denen ich dort arbeite, noch nie gesehen.»
Grossflächige Auswirkungen
Die Auswirkungen dieses massiven Gletscherschwunds sind vielfältig. In gewissen Fällen können sie kurzfristig positiv sein, so Steiner, die Leute hätten teilweise sogar mehr Wasser für die Landwirtschaft zur Verfügung. Für Menschen, die nahe den Bergen leben, erhöht sich beim Auftauen der Gletscher aber die Gefahr von Hangrutschen, Steinschlägen und der Erosion. Viele Kanäle, mit denen vorher das Wasser auf die Landwirtschaftsflächen verteilt wurde, reichen in vielen Fällen nicht mehr bis zum Gletscher.
Doch es wird laut der Studie auch mit grossflächigeren Auswirkungen gerechnet. Die Hindukusch-Himalaja-Region erstreckt sich über ein grosses Gebiet von Afghanistan unter anderem über Indien, Nepal und China bis zu Myanmar. Voraussichtliche Folgen des Schwunds von Eis und Schnee sind wie in anderen Gletscherregionen auch zunächst häufiger und stärker werdende Überschwemmungen und Erdrutsche.
Versicherung fällt weg
Auf längere Sicht ist Wassermangel talabwärts zu befürchten, da die Gletscher zahlreiche Flüsse speisen, wie es in dem Bericht heisst. Das Wasser aus den Bergen speist grosse Flüsse wie den Ganges, den Indus, den Mekong und den Jangtse.
Eis und Schnee der Region seien eine wichtige Wasserquelle für 12 Flüsse in 16 asiatischen Ländern, die wiederum vielen Menschen Frischwasser zur Verfügung stellten, heisst es in der Studie. Sie spricht von rund zwei Milliarden Menschen, die vom Wasser des Himalaja abhängen. «In Jahren, in denen wenig Regen fällt, war die Schmelze von Eis und Schnee jeweils hilfreich. Wenigstens dieses Wasser war vorhanden, wenn es nicht oder wenig regnete. Diese Versicherung fällt mit der Gletscherschmelze weg», sagt Steiner.
Die Studie rechnet damit, dass bis Ende des Jahrhunderts die Gletscher geschmolzen sind. Hoffnung für die Gletscher gibt es nur, wenn die Menschheit den CO₂-Ausstoss reduziert.