Immer mehr Menschen reisen, weil immer mehr Menschen sich das Reisen auch leisten können. 2017 wurden laut World Travel Report des Forschungsinstituts IPK in München, 1,2 Milliarden internationale Reisen gemacht, 6,5 Prozent mehr als 2016.
Schön für die Tourismusbranche, aber oft schlecht für die Natur und mühsam für die Einheimischen. Das Problem heisst «Overtourism». Es steht für überfüllte Strände, verstopfte Altstadtgassen und Warteschlangen vor Sehenswürdigkeiten. Die Tourismusbranche reagiert darauf. Jedoch mit Massnahmen, die allesamt zu kurz greifen – das zeigen vier Beispiele.
Phi Phi Islands: Die thailändische Inselgruppe Phi Phi Islands ist dieses Jahr am 1. April für den Tourismus geschlossen worden. Der Sandstrand mit seinen stark beschädigten Korallenriffen soll sich vier Monate lang erholen können. 5000 Touristen peilen die Bucht Tag für Tag an in masslos überfüllten Touristenbooten. Der Strand ist ein Hotspot. Dies seitdem Leonardo di Caprio die Bucht im Film «The Beach» entdeckte und damit auf einem Schlag weltberühmt machte.
Nun sorgt deren Schliessung weltweit für Schlagzeilen. Der Befund ist klar: Overtourism. Ein Thema, das zunehmend auch die Tourismus-Wissenschaften beschäftigt.
Für Thorsten Merkle, Studienleiter Tourismus HTW Chur, ist die Massnahme nicht ganz durchdacht, sogar kontraproduktiv: «Naturräume brauchen einfach länger als vier Monate, um sich von einer Überbeanspruchung erholen zu können, Korallenriffe insbesondere.» Die grosse Berichterstattung über die Schliessung des Strandes könne sogar eine Werbewirkung haben und noch mehr Touristen anziehen.
London: In der britischen Hauptstadt schlägt Overtourism aufs Portemonnaie. Der Tower of London ist eine der beliebtesten Sehenswürdigkeiten der Welt. Im Schnitt zwängen sich jeden Tag fast 8000 Besucher in die mittelalterliche Burg, vor allem um die Kronjuwelen der Queen zu sehen. Der Eintritt: umgerechnet rund 39 Franken.
Ganz ähnlich die Kirche Westminster Abbey: Rund 29 Franken kostet der Eintritt. Und trotzdem stehen die Leute stundenlang an. Viele Destinationen versuchen den Besucheransturm über hohe Preise in den Griff zu bekommen, mit mässigem Erfolg. Wer für so ein einmaliges Erlebnis den Weg nach London auf sich genommen habe oder nach Indien reise, um den Taj Mahal zu sehen, lasse sich durch den hohen Eintrittspreis nicht abhalten, sagt Merkle.
Mallorca: Seit die Touristen nicht nur die Strände, sondern auch die Hauptstadt Palma in Beschlag nehmen, geht’s ans Eingemachte. Stadtwohnungen wurden zu Ferienwohnungen. Die Mieten erhöhten sich um 50 Prozent. Deshalb wurde das Vermieten auf Stadtgebiet komplett verboten. «Das bedeutet, dass Palma wieder bewohnbar wird», sagt Palmas Stadtpräsident Antoni Noguera Ortega. Es gebe nichts Schlimmeres, als eine Stadt, in der die Einheimischen nicht mehr wohnen können. «Jetzt wird unser Zusammenleben wieder besser.»
Das Verbot gilt per 1. Juli. Im Wesentlichen geht es um Wohnungen, die im Internet – zum Beispiel über Airbnb – angeboten werden. Palma ist dabei nicht allein. Andere Städte kennen ähnliche Verbote. Verbote, die allerdings nur kurzfristig Ruhe bringen: «Eine langfristige Lösung ist nur unter Einbezug der Bevölkerung in einem politischen demokratischen Prozess zu erreichen», ist der Experte überzeugt.
Barcelona: In der katalanischen Hauptstadt ist der Konflikt zwischen Besuchern und Einheimischen eskaliert.
Transparente an Hausmauern, Demonstrationen auf den Strassen, Airbnb-Verbote oder hohe Preise zur Regulierung gibt es in Barcelona bereits. Doch die Stadt ist eng und die Einheimischen haben genug. Für Merkle ist klar, dass eine Stadt auf den Protest ihrer Einwohner eingehen müsse. Für eine nachhaltige Lösung müssen aber grundlegende Fragen beantwortet werden. Wie viele Besucher will eine Destination haben und in welchen Bereichen?
Lange stand im Tourismus nur der Reisende und das Geschäft im Mittelpunkt. Die Ansprüche der Bevölkerung und der Natur wurden vernachlässigt. Das hat sich nun geändert: Betroffene wollen mitreden – und Overtourism wird zum Politikum.