Die von der WHO empfohlenen Medikamente werden seit längerem in der Behandlung von HIV-Infizierten eingesetzt – mit grossem Erfolg. Die sogenannten antiretroviralen Wirkstoffe hindern das HI-Virus daran, sich im Körper zu vermehren. So können HIV-Infizierte heute ein weitgehend normales Leben führen.
Nun sollen diese Medikamente Menschen vor einer Ansteckung schützen – quasi als Pille davor, statt als Pille danach. Die Empfehlung gelte für Risikogruppen wie Homosexuelle, Prostituierte oder Drogensüchtige, sagt Gottfried Hirnschall, Direktor der HIV-Abteilung bei der WHO. Diese sollten «in Erwägung ziehen, als zusätzliche Massnahme antiretrovirale Substanzen zu nehmen, da diese das Infektionsrisiko signifikant reduzieren».
Für die Schweiz ungeeignet
Dass bei einer Einnahme von antiretroviralen Medikamenten das Infektions-Risiko bei ungeschütztem Sex sinkt, haben mehrere Studien in den letzten Jahren gezeigt. Darum sollen sich nun auch gesunde Menschen damit vor HIV schützen können, wenn sie sich riskant verhalten.
Das zuständige Expertengremium beim Bund, die Eidgenössische Kommission für Sexuelle Gesundheit, hat diese Form von Prophylaxe schon öfters diskutiert – und abgelehnt. «Wir kamen immer wieder zum Schluss, dass wir diese Behandlung für die Schweiz im Moment nicht für die richtige Massnahme halten», sagt ihr Präsident, der Infektiologe Pietro Vernazza.
Behandlungskosten sind zu hoch
Das Problem: Das Medikament kostet 900 Franken pro Monat. Wenn in der Schweiz von 10'000 potenziell gefährdeten Männern die Hälfte mit dem Medikament behandelt werden müsste, würde dies rund 60 Millionen Franken pro Jahr kosten, rechnet Vernazza vor.
Wir sind klar der Meinung, dass die hohen Kosten für diese Behandlung nicht von der Allgemeinheit getragen werden dürfen.
Dazu kommen die Nebenwirkungen. Allgemein sei das Medikament zwar gut verträglich, sagt Bernard Hirschel, HIV-Spezialist vom Universitätsspital Genf. Es könne allerdings zu Übelkeit, Gewichtsverlust und Müdigkeit führen, in seltenen Fällen sogar zu Nierenproblemen und Knochenschwund.
Ziel: Restrisiko minimieren
Auch die WHO ist sich der Nebenwirkungen bewusst. Sie weiss aber auch: Kondome allein werden es wahrscheinlich nicht richten. Denn viele Menschen benutzen beim Sex nun einmal keine Präservative. «Wir leben nicht in einer perfekten Welt. Wir müssen versuchen, die Restrisiken zu minimieren, das ist der Ansatz hier», sagt Hirnschall von der WHO.
Ganz nach dem Motto: Wenn schon kein Kondom, dann immerhin die Pille. Deshalb will sich die WHO auch dafür einsetzen, dass die Krankenkassen die Kosten für die Medikamente tragen. In der Schweiz dürfte sie damit auf Widerstand stossen. «Wir sind klar der Meinung, dass die hohen Kosten für diese Behandlung nicht von der Allgemeinheit getragen werden darf», sagt Vernazza von der Eidgenössischen Kommission für Sexuelle Gesundheit.