Obwohl Russland am Wochenende das Abkommen über Getreide-Exporte aus der Ukraine einseitig ausgesetzt hat, sind seit Montag wieder Frachter im Schwarzen Meer unterwegs nach Istanbul. Laut UNO können die Exporte, auch ohne Teilnahme Russlands bei den Inspektionen, weitergeführt werden. Das sei ganz im Interesse der Türkei, sagt der Agrarwissenschaftler Wilfried Bommert vom Thinktank «World Food Institute».
Wie hat sich die Ankündigung Russlands bisher ausgewirkt, das im Juli ausgehandelte Getreideabkommen auszusetzen?
Der Preis für Getreide ist seither in Europa wie auch an den internationalen Börsen deutlich gestiegen, nachdem zuvor der Deal die Preise stabilisiert hatte. Sie liegen aber immer noch über dem Vorjahresniveau.
Dort, wo das Getreide fehlt, ist bisher wenig angekommen.
Was die weltweite Versorgung betrifft, so hat sich diese eher nicht verbessert. Dort, wo das Getreide fehlt, ist bisher wenig angekommen.
Welche Länder haben von den ukrainischen Getreideexporten bisher am meisten profitiert?
Allen voran die Türkei, als Grossimporteurin von Getreide. Ebenso Europa und etwas Nordafrika. Aber die Länder, wo wirklich der Hunger droht, haben bisher am wenigsten profitiert.
Die Türkei hat also grosses Interesse daran, das Getreideabkommen weiterzuführen?
Unbedingt. Die Türkei baut gerade Druck auf und macht deutlich, dass die Kontrollen auch ohne Russland weitergehen können. Da wird die Türkei wohl auch in Zukunft darauf achten.
Sind die Silos in der Ukraine immer noch voll, wenn jetzt die neue Ernte hereinkommt?
Es ist noch etwas von der alten Ernte da, aber die Neue kommt mit ungefähr 50 Millionen Tonnen herein. Das ist weniger als im Vorjahr. Die Menge staut sich, was sich unmittelbar auf die Preise auswirkt. Sie sind deutlich gesunken und liegen zum Teil unterhalb der Anbaukosten. Das wird sich im nächsten Jahr auf die Produktion auswirken.
Russland will anscheinend die eigenen Lagerbestände aufbauen und sozusagen eine Kriegsreserve anlegen.
Am meisten von den tiefen Preisen profitieren jene, die jetzt direkt exportieren. Sie können die Preisdifferenz zwischen Weltmarktpreis und lokalem Preis einstecken.
Recherchen der «Financial Times» zeigen, dass russische Besatzer ukrainisches Getreide beschlagnahmen. Was verfolgt der Kreml damit?
Russland will anscheinend die eigenen Lagerbestände aufbauen und sozusagen eine Kriegsreserve anlegen. Das zeigt sich bereits bei der aktuellen russischen Ernte, die offenbar besser ausgefallen ist als in den Vorjahren. Diese Kriegsreserve wird zum Teil auch durch das gespeist, was in der Ukraine abgezogen wird.
Russland benutzt den Export als politischen Hebel, um international Druck aufzubauen.
Nach der Seeblockade durch Russland wurden alternative Routen für das ukrainische Getreide gesucht, etwa per Bahn nach Polen oder Rumänien. Was ist aus diesen Plänen geworden?
Das wird weiterverfolgt, aber die Alternativen sind nur sehr beschränkt wirksam. Wer eine Schiffsladung mit 40'000 Tonnen Getreide mit der Bahn transportieren will, braucht ungefähr 700 Waggons. Dieses Transportproblem kann zu Lande gar nicht gelöst werden. Der Hauptteil des ukrainischen Getreides muss damit nach wie vor über den Seeweg transportiert werden. Wenn es nicht weitergehende Öffnungen gibt, bleibt viel liegen und verrottet.
Wird nun Russland Getreideexporte übers Schwarze Meer mit gezielten militärischen Aktionen stoppen?
Davon ist nicht auszugehen. Russland benutzt den Export als politischen Hebel, um international Druck aufzubauen. Die Russen werden wohl am Ende so klug sein und die Schiffe passieren lassen.
Das Gespräch führte Matthias Kündig.