Geschlossenheit war bislang der grösste Trumpf der EU in den Brexit-Verhandlungen mit Grossbritannien. Die 27 verbleibenden EU-Staaten standen hinter Unterhändler Michel Barnier. Gab es Unstimmigkeiten, wurden diese nicht nach aussen getragen.
Heute aber, fünf Tage vor dem Brexit-Gipfeltreffen in Brüssel, scheint der Zusammenhalt in der EU zu bröckeln. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez droht damit, Barniers Austritts-Vertrag zurückzuweisen – sofern er nicht nachgebessert wird.
Wie offen bleibt die britisch-spanische Grenze?
Es geht um ein Gebiet, das wie Nordirland zu Grossbritannien gehört, aber mit der EU besonders eng verbunden ist: um Gibraltar. Seit über 300 Jahren gehört der Landzipfel im Süden Spaniens zum britischen Königreich. Der territoriale Verlust schmerzt die Spanier noch immer, sie beanspruchen das Gebiet für sich. Vor allem aber arbeiten viele Spanier in Gibraltar als Grenzgänger. Doch wie offen die britisch-spanische Grenze bleiben wird, ist ungewiss.
Spanien will die Verhandlungen darüber direkt mit den Briten führen. Deshalb kritisiert Sánchez Artikel 184 des Austritts-Vertrags. Demzufolge soll nämlich weiter die EU-Zentrale fürs Verhandeln zuständig sein. Die hat jene unscheinbare Passage ins Abkommen aufgenommen, auf Drängen der britischen Regierung, ohne die spanische Diplomatie zu informieren. Die Spanier wollen ihr Mitspracherecht indes ausdrücklich festgehalten haben.
Die Suche nach dem Kompromiss
Die EU-Kommission versuchte heute die Wogen zu glätten. Sie verwies auf die Brexit-Leitlinien der Staats- und Regierungschefs der EU. Demnach darf ein Gibraltar-Abkommen ohnehin nicht gegen den Willen der spanischen Regierung geschlossen werden.
Dieser Grundsatz könnte nun zum Beispiel in einer offiziellen Erklärung dem Austritts-Abkommen hinzugefügt werden. Hinter den Kulissen feilschen spanische und EU-Diplomaten dem Vernehmen nach an einem solchen Kompromiss.
Michel Barnier will nämlich unbedingt verhindern, dass am Text des Austritts-Vertrags irgendwelche Änderungen vorgenommen werden – weil dies die Änderungswünsche anderer EU-Staaten wecken könnte.
Knifflige zweite Phase
Dass Spanien den Austritts-Vertrag tatsächlich zurückzuweisen wird, ist eher unwahrscheinlich. Zu vorteilhaft ist das Regelwerk für die EU als Ganzes, zu sehr hat sich Michel Barnier in den Verhandlungen mit den Briten durchgesetzt. Vor allem droht ohne Abkommen auch Spanien Rechtsunsicherheit.
Aber der Krach um Gibraltar zeigt, wie kompliziert die zweite Phase der Brexit-Verhandlungen werden wird – jene über die künftige Zusammenarbeit. Und dass die Geschlossenheit der EU jederzeit auf eine harte Probe gestellt werden kann.