Ungarn verdankt sein Wirtschaftswachstum in den letzten Jahrzehnten zu einem grossen Teil ausländischen Unternehmen: deutschen Autobauern, österreichischen Detailhändlern, Schweizer Zementfabriken. Doch inzwischen versucht die ungarische Regierung unter Viktor Orbán für sie profitable Wirtschaftszweige zu übernehmen – und vertreibt die ausländischen Unternehmen mit rabiaten Methoden. Das betrifft auch die Schweiz.
Sind ausländische Unternehmen präsent in Ungarn? Sehr. Der regierungskritische ungarische Ökonom Zoltan Pogatsa sagt sogar, die ungarische Wirtschaft sei eine Art «Hinterland» des Auslands, vor allem Deutschlands. Seit Ungarn nicht mehr kommunistisch ist, haben in erster Linie Grosse aus dem Ausland seine Wirtschaft wachsen lassen, zum Beispiel Audi, BMW, Mercedes, Tesco, Erste Bank und Holcim. Schon früher, sagt Ökonom Zoltan Pogastsa, hätten ungarische Regierungen versucht, einen grösseren Teil der Wirtschaft in ungarische Hände zu legen. Keine Regierung hat das aber so konsequent versucht wie die jetzige von Regierungschef Viktor Orbán.
Was will die ungarische Regierung genau? Sie will die Wirtschaft «ungarisieren», will, dass Teile der ungarischen Wirtschaft verstaatlicht oder von ungarischen Unternehmern übernommen werden. Dafür hat Ökonom Zoltan Pogatsa ein gewisses Verständnis. Die «Ungarisierung» betrifft nicht die ganze Wirtschaft, beispielsweise nicht die wichtige Autoindustrie. Aber sie betrifft etwa das britische Telekommunikationsunternehmen Vodafone, das teilweise verstaatlicht wurde. Und ganz besonders die Bauwirtschaft. Janos Lazar, Ungarns Minister für die Bauwirtschaft, sagte es an einer Pressekonferenz so: «Ausländische Unternehmen und ausländisches Baumaterial sind nicht willkommen. In Ungarn ist kein Platz für sie.» Ungarische Unternehmen sollten einen Vorteil haben bei staatlichen Bauvorhaben. Die Zeiten seien vorbei, in denen Ungarn sich wirtschaftlich besetzen lasse durch Franzosen, Deutsche, Österreicher.
Was sagt die ungarische Regierung zu den Vorwürfen? Sie stand für die Fragen von SRF nicht zur Verfügung.
Inwiefern betrifft das «staatliche Mobbing» die Schweiz? Ein Beispiel dafür, wie die Schweiz betroffen ist, ist der weltumspannende Baustoffkonzern Holcim mit Sitz in der Schweiz. Holcim hat ein Zementwerk in Ungarn. Es gilt als innovativ. Aber jetzt macht die ungarische Regierung laut Holcim grossen Druck. Interviews gibt das Unternehmen nicht, aber Fetzen aus Gesprächen mit Leuten aus dem Holcim-Umfeld zeigen den Druck: «Ungarn ist kein Rechtsstaat mehr, Regierungschef Viktor Orbán ruiniert die Industrie, um ein paar Oligarchen Geld zuzuschieben.»
Ungarns Regierung hat der Zementindustrie eine Sonder-Bergbaugebühr aufgebrummt, zusätzlich zur normalen Bergbauabgabe. Und eine CO₂-Sondersteuer. «Wir knabbern deshalb an der finanziellen Substanz, investieren nur noch, wo absolut nötig.», heisst es dazu aus dem Holcim-Umfeld. «Spätestens 2034 sind wir ruiniert.» Die Europäische Union sagt, mit den Sonderabgaben verstosse Ungarn gegen das Recht auf Eigentum, den freien Kapitalverkehr und die Niederlassungsfreiheit. Holcim-Vertraute erzählen auch von ständigen Steuerprüfungen, von Einschüchterungs-Besuchen des Geheimdiensts bei Mitarbeitenden. Holcim wehrt sich mit Klagen. Übernahmeangebote des ungarischen Staats lehnt der Konzern ab, sagt, man habe zu viel investiert, sei nach Jahren endlich profitabel.