Wenn eine wichtige Person stirbt, steht dies meist kurz darauf auf Wikipedia. Ein Autor hat den Eintrag aktualisiert, zusammen mit vielen anderen Freiwilligen, die Wikipedia in ihrer Freizeit und ohne Bezahlung am Leben halten. Dieses Prinzip macht die Online-Enzyklopädie einzigartig.
Nur dumm, dass die Dominanz der männlichen Autoren die Diversität der Wissensdatenbank nicht fördert. Ein Beispiel: Die Liste von Porno-Darstellerinnen in Wikipedia ist endlos lange, jene über deutsche Dichterinnen – eher bescheiden.
Ein historischer Klotz am Bein
Solche Verzerrungen begleiten Wikipedia seit ihrer Erfindung. Genau dort liege einer der Gründe, sagt Muriel Staub, Vorstandsmitglied von Wikimedia Schweiz. Das ist ein Verein, der Projekte der weltweiten Wikimedia Stiftung in der Schweiz koordiniert und umsetzt, eben auch das Nachschlagewerk Wikipedia. Staub sagt: «Als Wikipedia frisch ins Leben gerufen wurde, haben viele Informatiker, viele Männer mitgeschrieben. Das hat sich bis heute so gehalten».
Es gibt eine andere Medienpräferenz bei Frauen.
Und das ist zu einem historischen Klotz am Bein geworden. Die technische Herkunft war Wikipedia lange Zeit anzusehen: Die Oberfläche, um Seiten zu bearbeiten, war kompliziert und lud nicht ein, die Freizeit damit zu verbringen. Zwar ist die Benutzung mittlerweile intuitiver geworden, signifikant mehr Frauen hat das aber nicht dazu bewogen, sich zu engagieren.
Frauen sind eher auf Social Media
Muriel Staub sieht weitere Gründe: «Es gibt eine andere Medienpräferenz bei Frauen.» Sie nützten eher die sozialen Medien. «Oder sie fühlen sich nicht angesprochen, an Wikipedia mitzuarbeiten, weil vielleicht ‹liebe Benutzer› und nicht ‹liebe Benutzerinnen› steht.» Oder weil der Umgangston hart sei, männlich, machoid. Es gibt immer wieder Berichte, dass motivierte Frauen, die ihren ersten Artikel verfasst haben, von einem männlichen Administrator weggescheucht werden.
So wurde eine neue Liste zu deutschsprachigen Science-Fiction-Autorinnen, die von einer Frau verfasst wurde, abgelehnt. Dies mit der Begründung, sie sei überflüssig und irrelevant. Umgekehrt führt Wikipedia aber Listen über Scharfschützen und deren Schussdistanzen bei der Tötung von Menschen oder eine Liste von Schiffen mit dem Namen «Amazone».
Man kann etwas ändern, es braucht einfach Zeit und Menschen, die mitmachen.
Muriel Staub ärgert dies, aber: «Vielleicht ist dies einfach das Abbild einer gesellschaftlichen Verzerrung, die in Wikipedia erneut zementiert wird.» Eigentlich sei Wikipedia ja sehr offen angelegt: «Ich muss nicht unbedingt Expertin sein für Schweizer Politik, wenn ich einen Eintrag über eine Schweizer Politikerin schreibe. Ich kann dies aus Interesse oder Leidenschaft für ein Thema tun.» In diesem Sinne sei Wikipedia richtig konstruiert, da es von der Technik her keinen Ausschluss gebe.
Initiativen für mehr Weiblichkeit
Dennoch reissen sich Frauen nicht darum, Autorinnen zu werden. Muriel Staub meint, das brauche halt einfach noch mehr Zeit und auch Bemühungen von Wikipedia. «Ich bin aber optimistisch», sagt sie und verweist auf das Schweizer Projekt «Frauen für Wikipedia». Dort kommen Frauen mit Männern zusammen, um gemeinsam Wikipedia-Artikel zu schreiben.
Seitdem existieren auf Wikipedia rund 100 neue Seiten mit Biografien von wichtigen Schweizer Frauen. «Man kann etwas ändern, es braucht einfach Zeit und Menschen, die mitmachen.»