Auf den Tag genau vor zehn Jahren ist Nordkoreas Diktator Kim Jong-il gestorben, seither führt sein Sohn Kim Jong-un das Regiment; es ist eine Familiendiktatur in dritter Generation. Der freie Journalist Martin Fritz, der die Situation in Nordkorea von Japan aus verfolgt, erklärt, was sich im Land in den letzten Jahren verändert hat – und was nicht.
SRF News: Wie unterscheidet sich das heutige Nordkorea unter Kim Jong-un von jenem seines Vaters Kim Jong-il?
Martin Fritz: Nordkorea hat sich stark verändert. Das Land ist heute sicher moderner, aber auch isolierter, totalitärer, gefährlicher als vor zehn Jahren, vielleicht auch ärmer – je nachdem, wie man das messen will. Diese Veränderungen hängen mit Kim Jong-uns Strategie zusammen.
Kim Jong-un muss der Elite von Partei und Militär auch etwas bieten.
Totalitärer, weil er seine Macht durch Verhaftungen und Hinrichtungen absichert. Gefährlicher, weil er bei der Atom- und Raketenrüstung grosse Fortschritte gemacht hat. Aber auch isolierter denn je. Denn die USA und die UNO haben vor fünf Jahren scharfe Wirtschaftssanktionen verhängt, zugleich aber auch moderner, weil Kim Jong-un der Elite von Partei und Militär auch etwas bieten muss. Das sind seine Unterstützer. Er hat ihnen Smartphones, Wohnungen, Freizeitanlagen und Restaurants gegeben.
Wie hat sich die Situation für die Bevölkerung verändert?
2012, zwei Jahre nach dem Machtwechsel, hatte Kim Jong-un der Bevölkerung versprochen, dass sie ihren Gürtel nie wieder enger schnallen muss. Dafür wollte er die Atom- und Raketenrüstung und die wirtschaftliche Entwicklung parallel vorantreiben. Aber die Wirtschaft stagniert seit den Sanktionen. Zudem gab es einige Naturkatastrophen, also musste Kim letztes Jahr zurückrudern. Er hat die Nordkoreanerinnen und Nordkoreaner zu einem «anstrengenden Marsch» aufgerufen. Das ist ein Begriff, den sein Vater bereits während der Hungerkatastrophe der 1990er-Jahre benutzt hatte.
Die Schliessung der Grenzen zur Abwehr des Coronavirus hat die Wirtschaftskrise noch weiter verschärft. Derzeit gibt es Berichte über steigende Preise, leere Regale und auch Knappheit bei Medikamenten.
Wie fest sitzt Kim im Sattel, um die Dynastie weiterzuführen?
Er hat die Macht früher und schneller als sein Vater übernommen. Daher gab es anfangs viel Skepsis. Aber sein Vater hat ganz gegen die Regeln des Konfuzianismus den jüngsten seiner drei Söhne als Nachfolger ausgewählt, weil er als einziger die benötigte Härte für einen Diktator mitbringen würde. Und ich denke, der Vater hat ihn richtig eingeschätzt.
Kim hat ja seinen Onkel hinrichten und seinen Halbbruder ermorden lassen. Hunderte andere Widersacher sind im Gulag gelandet oder wurden exekutiert. Mit seiner Schwester an der Seite fühlt er sich heute vermutlich sicherer denn je. Sie organisiert den Personenkult um ihn.
Vor welchen Herausforderungen steht Nordkorea heute?
Kim Jong-un hat sich selbst in eine Zwickmühle gebracht. Die Atombomben und Raketen sichern sein Regime ab. Er wird sie nicht aufgeben. Aber dadurch bleiben auch die Sanktionen, die verhindern, dass es den Menschen im Land besser geht. Meine Einschätzung ist, dass Kim in Zukunft den Machtkampf zwischen den USA und China für sich nutzen will. Er könnte sich China als loyaler Verbündeter gegen die USA anbieten, wenn ihm Peking im Gegenzug Wirtschaftshilfe leistet. Es würde mich nicht wundern, wenn Kim in zehn Jahren immer noch an der Macht ist.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.