Seit dem Amtsantritt des neuen brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva Anfang Jahr ist die Abholzung im Amazonasgebiet deutlich gesunken. Um 31 Prozent sei die abgeholzte Fläche in den ersten fünf Monaten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurückgegangen, schreibt das Umweltministerium. In den Feuchtsavannen des Cerrado im Südosten des Landes sei die Entwaldung allerdings um 35 Prozent gestiegen.
Zum Jubeln sei es eindeutig noch zu früh, auch wenn Umweltschützerinnen und viele Indigene möglicherweise anderer Auffassung seien, sagt SRF-Südamerika-Korrespondentin Teresa Delgado. Lula verspricht sogar, die illegale Abholzung ganz auszumerzen, indem er indigene Territorien vergrössert und mehr Schutzgebiete einrichtet.
Indigene vor Jahrhundertprozess
Ob er dafür überhaupt die gesetzliche Grundlage hat, ist umstritten. Der Widerstand im Parlament ist gross. Denn Lulas Pläne werfen die Grundsatzfrage auf, ob die Grenzen der indigenen Territorien gemäss Verfassung von 1988 unveränderbar bleiben sollen.
Lula möchte die Grenzen veränderbar machen, was Kritiker als Verfassungsverletzung betrachten. Das Oberste Gericht wird entscheiden. Für Brasiliens Indigene wird das ein Jahrhundertprozess. Es geht um den Schutz ihres Lebensraums und damit um ihr Überleben.
Der Fall vor dem Obersten Gericht ist auch für die weltweite Klimapolitik äusserst wichtig. Denn es geht darum, wo und wie viel im Amazonasgebiet, der grünen Lunge des Planeten, künftig legal abgeholzt werden darf.
Die vielen Widersprüche von Lula
Lula galt in seinen früheren Präsidentschaften nicht als vehementer Umweltschützer. Doch nun hat er versprochen, den Klima- und Umweltschutz zu stärken und gleichzeitig die Wirtschaft zu fördern.
Wie Lula den Spagat schaffen will, hat er bisher nicht beantwortet. Es ist äusserst widersprüchlich. Im Ausland betont er gerne den Regenwaldschutz als seine oberste Priorität. In seinen ersten beiden Amtszeiten sah das nicht immer so aus. So liess er gigantische Wasserkraftwerke im Regenwald bauen, die zum Teil eine katastrophale Umweltbilanz hatten. Selbst ein Teil von Lulas Arbeiterpartei stellt sich deshalb im Parlament gegen seine Umweltpolitik.
Brasilien müsste sich also zwischen Umweltschutz und Wirtschaftswachstum entscheiden, eine fast unmögliche Entscheidung für eine aufstrebende Volkswirtschaft. Denn für das Schwellenland ist der Amazonas auch eine grosse Ressource, Chance und ein riesiges Geschäft: Forstwirtschaft, Holzhandel, Goldabbau, Ölvorkommen, aber auch Fleisch- und Sojaindustrie.
Daran hängen ganz viele legale und illegale Jobs, es geht längst nicht nur um die reichen Grossgrundbesitzer, stellt Korrespondentin Delgado fest. Ein Drittel der Bevölkerung lebt in Armut und zum Teil von umgerechnet weniger als fünf Franken am Tag: «Da ist es schon verlockend, im Amazonas illegal Holz zu schlagen.»