Chen Xia gehört zu denen, die vom Handelsstreit zwischen den USA und China profitieren. Sie, die einst selber an den Fliessbändern von Chinas Wirtschaftswunderstadt Shenzhen gestanden hat. Doch das ist lange her. Heute jettet sie als erfolgreiche Geschäftsfrau durch die Nachbarländer von China und sucht Platz für Fabriken – viel Platz.
Beliebtes Vietnam
Seit einem halben Jahr läuft ihr Berater-Geschäft wie nie zuvor. «Seit die USA im letzten August ihre Zölle auf chinesische Produkte erhoben haben, werden wir von Anfragen überhäuft», erzählt sie, während wir auf einer nagelneuen Autobahn von Vietnams Hauptstadt Hanoi in Richtung Meer brettern.
Chen Xia ist eben aus Shenzhen eingeflogen, um 40 chinesische Firmen in die nagelneue Industriezone der Hafenstadt Haiphong umzusiedeln. Seit dem vergangenen Sommer hat sie bereits 20 Firmen aus China hierhergebracht.
Vietnam sei zurzeit die beliebteste Destination für chinesische Firmen, die unter den Zöllen der USA leiden. Die geografische Nähe und die kulturelle Verwandtschaft seien für viele ausschlaggebend, ihre Fabriken hier anzusiedeln, um so künftig nicht mehr Opfer des Handelsstreits zu sein, erzählt sie.
Geist aus der Flasche
Dies bestätigt auch Bruno Jaspaert. Der Belgier ist der Direktor von Deep C, einem Industriepark, etwa so gross wie die Fläche der Stadt Basel. «Der Handelskrieg hat grosse Konsequenzen hier in Vietnam», erzählt der Geschäftsmann, der in Zusammenarbeit mit der Regierung das Wirtschaftswunder von Vietnam befeuert.
Seit mehreren Jahren suchen chinesische Firmen nach günstigeren Produktionsstandorten als zu Hause. Doch der Handelsstreit habe einen regelrechten Boom ausgelöst. Jaspaert ist überzeugt, dass dieser weiter anhalten wird. «Auch wenn der Handelskrieg jetzt plötzlich beigelegt würde, der Geist ist aus der Flasche», sagt der Geschäftsmann. Die Firmen, entscheiden sich jetzt, den Schritt zu wagen, danach gebe es kein Zurück mehr, ist er überzeugt.
Der Handelskrieg sei lediglich noch der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, sagt auch Chen Xia, als wir vor der Baustelle einer Solarzellenfirma aus Hongkong stehen. Der Hauptgrund seien aber vor allem die tiefen Lohnkosten in Vietnam. «Die Löhne sind hier halb so hoch wie in China», sagt die ehemalige Fliessbandarbeiterin. Ausserdem sei das politische System hier stabil. Und nach einer kurzen Gedenkpause meint sie: «Vielleicht ist es sogar etwas stabiler als zu Hause.»