Am Viktor-Adler-Markt im Wiener Arbeiterquartier Favoriten hält die FPÖ immer ihre Wahlkampf-Kundgegebungen ab. Am Freitagabend sind weniger gekommen als auch schon, vielleicht weil das Thema Europawahl nicht so zieht. Wohl aber auch, weil H. C., wie sie ihn nennen, nicht mehr dabei ist: Heinz-Christian Strache, Ex-Parteichef, gestrauchelt über die Ibiza-Affäre.
Jetzt hat Norbert Hofer übernommen, der vor zweieinhalb Jahren um ein Haar Bundespräsident geworden wäre. «Heinz-Christian Strache hat sich für seine Aussagen im Video längst entschuldigt. Und ich kann euch eines sagen, es tut ihm wirklich leid», sagt Hofer.
Neues Feindbild
Hofers Botschaft: Die FPÖ und ihre Spitze wurden Opfer einer Intrige im Ausland, ausgeheckt von Feinden im Innern. Neues Feindbild ist die ÖVP, die Volkspartei und Bundeskanzler Sebastian Kurz. Mit ihm hat die Partei knapp anderthalb Jahre regiert und einige Dinge durchgesetzt, aber jetzt hat er sie – so die FPÖ-Logik – verraten. Darum ruft die Menge während Hofers Rede: «Kurz muss weg!»
«Ich höre was ihr sagt», spricht Hofer zur Menge, «ihr werdet am Montag noch an mich denken». Am Montag entscheidet der österreichische Nationalrat über einen Misstrauensantrag gegen Kanzler Kurz, eingereicht von einer Kleinpartei. Nur wenn die FPÖ zustimmt, stürzt Kurz.
Hofers «Ihr werdet noch an mich denken» kann man so deuten: Die FPÖ stimmt gegen Kurz, aber eine offizielle Position gibt es noch nicht. Die FPÖ-Parlamentsfraktion will erst am Montagmorgen entscheiden.
Ihr werdet am Montag an mich denken
Meinungen gehen auseinander
An der Basis sind die Meinungen geteilt. Es gibt die Kurz-muss-weg Rufer in den vorderen Reihen, für die die Sache klar ist: «Ja, natürlich, Kurz muss weg. Er hat einen Putsch verursacht in Österreich.»
Und es gibt weiter hinten in der Menge Zögerer, die sich fragen, was die richtige Strategie ist. Ein Parteimitglied beschreibt das Dilemma so: «Vom Herz her wäre ich dafür, ihm das Misstrauen auszusprechen, vom Hirn her wäre ich dagegen. Wenn 60 Prozent der Bevölkerung sagen, er soll die drei Monate weiterregieren, dann kann man ihm nicht einfach das Misstrauen aussprechen.»
Kurz muss weg. Er hat einen Putsch verursacht in Österreich.
Menschen wollen Ruhe und Stabilität
Tatsächlich sagen alle Umfragen, dass die Menschen schnell wieder Ruhe und Stabilität wollen. Die FPÖ trauert der Regierungszusammenarbeit mit der ÖVP nach, und möchte ein Machtfaktor im Land bleiben – trotz Ibiza.
Das ist ein Grund, sich nicht vorschnell in der Misstrauens-Frage gegenüber Kanzler Kurz festzulegen – auch um bei der anstehenden Europawahl nicht noch mehr Stimmen zu verlieren
Lieber pflegt die FPÖ stattdessen ihre neue Opferrolle – und versucht, zu mobilisieren, und die Reihen zu schliessen.