Silvester 2014 ist ein wichtiges Datum für Tunesien: Béji Caid Essebsi legt den Amtseid ab – als erster demokratisch gewählter Präsident des Landes. Der neue Präsident ist ein Veteran aus der ersten Generation unter Staatsgründer Habib Bourguiba.
Essebsi diente Bourguiba als Berater, später als Botschafter in Paris, bis er Anfang der 1970er-Jahre in Ungnade fiel, weil er vom Präsidenten demokratische Reformen gefordert hatte. In den 1980er-Jahren kam Béji Caïd Essebsi als Aussenminister in die Regierung zurück. Unter Diktator Ben Ali war er kurze Zeit Präsident des Kopfnicker-Parlaments, bevor er sich Mitte der 1990er-Jahre aus der Politik zurückzog.
Erst nach der Revolution Anfang 2011 tauchte Essebsi wieder auf: Als Chef der Regierung, die den Übergang zur Demokratie vorbereiten sollte. Bei der ersten demokratischen Wahl wurde die islamistische Ennahda mit deutlichem Abstand grösste Partei und übernahm die Regierung. Essebsi seinerseits trat ab und gründete wenige Monate später die Partei Nidaa Tounès als Gegenkraft zu den Islamisten.
Essebsis Islam
Das Etikett, er sei ein säkularer Politiker, lehnte Béji Caid Essebsi freilich ab. Die Europäer könnten nicht zwischen Islam und Islamismus unterscheiden, sagte er einmal in einem Interview mit dem französischen Fernsehen: «Islamismus ist eine politische Bewegung, die die Religion instrumentalisiert, um an die Macht zu kommen. Mit unserem Islam in Tunesien hat dies nichts zu tun. Unser Islam ist eine offene und tolerante Religion. Ich will in Tunesien einen modernen Staat für ein muslimisches Volk schaffen – und dies geht sehr gut zusammen.»
Essebsi verstand sich stets als Nachfolger seines Mentors Habib Bourguiba. Die Büste des Staatsgründers hatte ihren Ehrenplatz neben Essebsis Schreibtisch.
Bourguiba hatte bereits in den 1950er-Jahren die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau eingeleitet. Essebsi wollte dies als Präsident mit der Reform des Erbrechts weiterführen.
Nach islamischer Tradition erhalten Frauen in arabischen Ländern von einer Erbschaft nur halb so viel wie Männer. Präsident Essebsi verlangte Gleichstellung. Doch sein Gesetzesvorschlag liegt nach zwei Jahren immer noch im Parlament, blockiert durch den Widerstand der Islamisten.
Diese spielen im Parlament inzwischen wieder eine wichtige Rolle, nachdem sich Essebsis Partei in mehrere Fraktionen aufgespalten hat, ist er auf die Islamisten angewiesen.
Was hinterlässt Essebsi?
Das politische Erbe von Essebsi ist zwiespältig: Die Stabilität Tunesiens ist fragil. Die Wirtschaft kommt kaum vom Fleck: Die Arbeitslosigkeit bleibt hoch, die Lebenskosten steigen stärker als die Löhne, es kommt immer wieder zu Arbeitskonflikten.
Aber die demokratischen Institutionen Tunesiens scheinen gefestigt - bei allen politischen Turbulenzen der letzten Jahre. Das illustriert auch der Entscheid Essebsis, bei den Präsidentenwahlen im November nicht mehr anzutreten.
Im Unterschied zu anderen Machthabern der Region war er bereit, das Ende seiner Regierungszeit selber einzuleiten. Es sei Zeit für einen Generationenwechsel. Mit seinem Tod endet die Ära Essebsi noch früher als geplant.