Der ehemalige anglikanische Erzbischof Desmond Tutu hat als einer der bekanntesten Wortführer im Kampf gegen das einstige rassistische Apartheid-System in Südafrika den Friedensnobelpreis erhalten. Nun ist er im Alter von 90 Jahren gestorben. SRF-Südafrika-Korrespondentin Cristina Karrer sagt: Mit ihm sterbe das moralische Gewissen des Landes.
SRF News: Was muss man über Desmond Tutu und seine Bedeutung für das Land wissen?
Cristina Karrer: Desmond Tutu war immer draussen unter den Leuten und nie im Gefängnis wie etwa Nelson Mandela. So hat er eine entscheidende Rolle dabei gespielt, dass der Frieden erhalten werden konnte. Vor allem kurz vor den Wahlen 1994 war er derjenige, der in den Townships herumreiste. Damals gab es grosse Spannungen zwischen verschiedenen schwarzen Bevölkerungsgruppen und es sah wirklich so aus, als ob das Land explodieren könnte.
Desmond Tutu hat genau hingeguckt und hat das auch artikuliert.
Aber er war über den ganzen Befreiungskampf hinaus wichtig. Er hat auch noch vor 15 Jahren die Partei scharf beobachtet und alles kritisiert, was er gesehen hat – und was nicht passt in das Bild einer Partei, die doch eigentlich Freiheit und Frieden bringen sollte.
Tutu war also auch seinen ehemaligen Mitstreitern gegenüber kritisch eingestellt?
Ja, und das machte ihn auch so speziell. Denn die ehemaligen Mitstreiter waren in der Zwischenzeit wichtige Männer geworden, die viel verdient haben und tolle Autos gefahren sind. Und es hatte sich eben auch die Korruption ausgebreitet, wie das in einer postrevolutionären Gesellschaft häufig der Fall ist. Desmond Tutu hat da genau hingeschaut und hat das auch artikuliert, vor allem als Jacob Zuma zum Präsidenten gewählt worden ist. Er war ja angeklagt wegen Vergewaltigung und es gab schon damals Korruptionsvorwürfe. Da hat Tutu ganz klar gesagt, dass dies einfach nicht gehe.
Er war sehr enttäuscht. Er hat so viel gekämpft.
Damit hat er sich natürlich bei seinen ehemaligen Mitstreitern unbeliebt gemacht. So sehr, dass er beim Begräbnis von Nelson Mandela nicht reden durfte. Ihm wurde ein Maulkorb angelegt. Und das war natürlich für jemanden wie ihn, der sehr eng mit Mandela befreundet war, furchtbar.
War Tutu selber auch enttäuscht vom Weg, den das Land genommen hatte?
Ja, er war sehr enttäuscht. Er hat so viel gekämpft. Wie auch andere. Tausende von Menschen haben alles aufgegeben, um die Freiheit in diesem Land zu ermöglichen. Tausende haben im Ausland trainiert für den Befreiungskampf und sie wurden alle irgendwie fallengelassen. Desmond Tutu war ihre Stimme. Er war der Einzige, der das wirklich artikuliert hat. Und jetzt ist diese Stimme auch weg.
War Tutu demnach eine der letzten oder gar die letzte Stimme, die sich noch äussern konnte und nicht selber der Elite angehört hat?
Eine grosse Frage – seine Stimme war eben nicht von Gier geprägt. Heute äussern sich natürlich viele über die Korruption, aber alle gehören irgendeiner Partei an, alle wollen etwas Bestimmtes. Das wollte er nicht. Da stellt sich schon die Frage, wer jetzt noch das moralische Gewissen dieses Landes ist. Ich weiss es nicht.
Die Älteren sind nicht traurig, sie feiern ihn.
Wie reagieren die Menschen in Südafrika auf den Tod von Desmond Tutu?
Die Parteispitzen reagieren natürlich alle enttäuscht und traurig: Es gibt bereits verschiedene Reden und Nachrufe. Aber die jüngere Generation kennt Tutu leider schon nicht mehr, sie wissen nicht viel über ihn zu sagen. Und die Älteren sind nicht traurig, sie feiern ihn. Das war schon damals beim Tod von Mandela so: Die Menschen wollen sein Leben feiern.
Das Gespräch führte Matthias Strasser.