Der Wolf ist nicht nur in der Schweiz ein immer wieder heiss diskutiertes Thema. Auch in Kanada wird über das Raubtier gestritten, wenn auch unter anderen Vorzeichen. So wurden etwa in British-Columbia, im äussersten Westen Kanadas, letzten Winter über 460 Wölfe abgeschossen.
Dies habe intensive Diskussionen über den Umgang des Menschen mit den Wildtieren ausgelöst, sagt der Journalist Gerd Braune.
SRF News: Weshalb wird in Kanada derzeit so emotional über die Wölfe gestritten?
Gerd Braune: Nach dem Abschuss der 460 Wölfe in British Columbia im letzten Herbst gibt es jetzt zwei neue Studien: Eine besagt, dass die geringere Zahl an Wölfen inzwischen zu einem Anstieg der Karibu-Bestände geführt hat. Die zweite Studie widerspricht der ersten. Sie stellt fest, dass nicht die Wölfe Ursache für die abnehmenden Bestände an Karibus sind, sondern die Umweltzerstörung durch die Öl-, Gas- und Forstwirtschaft.
Mit der Wolfsjagd würden die Interessen der Rohstoffindustrie bedient, sagen Tierschützer. Wie begründen sie diese Aussage?
Durch den Bau von Strassen werden Schneisen in die Wälder geschlagen, die es den Wölfen ermöglichen, viel schneller voranzukommen und effizienter Karibus zu jagen.
Durch die Rohstoffgewinnung wird viel Lebensraum der Karibus zerstört.
Durch die Rohstoffgewinnung wird auch viel Lebensraum der Karibus zerstört. Gemäss dieser Argumentation werden die Wölfe also abgeschossen, damit die Rohstoffindustrie unbehelligt weitermachen kann – und die Karibus trotzdem überleben können.
Welche Studie beschreibt die Realität besser?
Auch jene Studie, die die Erholung der Karibu-Bestände mit den Wolfsabschüssen begründet, kommt zum Schluss, dass vor allem der Verlust an Lebensraum Schuld ist am Rückgang der Zahl an Karibus. Die Wolfsabschüsse seien nur eine Zwischenlösung, um die Karibu-Bestände zu stabilisieren.
Wie sonst – ausser durch Abschüsse – könnte der Wolfsbestand eingedämmt werden?
Es gibt Versuche, die Wölfe zu sterilisieren oder den Wölfinnen ein Verhütungsmittel zu injizieren. So versucht man mancherorts in Kanada, den Wolfsbestand zu regulieren.
In der Schweiz geht es bei der Wolfsdiskussion vor allem um gerissene Nutztiere. Gibt es in Kanada dieses Problem ebenfalls?
Das ist hier nicht das grosse Aufregerthema. Kanada ist ein riesiges Land und die Wölfe leben vor allem in sehr dünn besiedelten Regionen. In Kanada gibt es rund 60'000 Wölfe, sie kommen im ganzen Land vor, ausser im dichter besiedelten Süden. Entsprechend selten sind die Begegnungen von Wölfen mit Nutztieren.
In Kanada gibt es rund 60'000 Wölfe.
Braucht es in Kanada überhaupt eine langfristige Strategie für den Umgang mit dem Wolf?
Diese Frage stellt sich auch in Bezug auf andere Wildtiere. Es gibt immer mehr Mensch-Tier-Begegnungen, vor allem weil sich die menschlichen Siedlungsgebiete immer mehr in die Natur ausbreiten. In den betreffenden Gebieten – etwa in der Nähe von Wäldern, in denen es viele Bären gibt – müssen die Menschen ihr Verhalten deshalb ändern und anpassen.
Das Gespräch führte Janis Fahrländer.