Es sind Märchen wie «Der Wolf und die sieben Geisslein» oder «Rotkäppchen», die das Bild des Wolfs stark geprägt haben. So wird er in den Märchen der Gebrüder Grimm als durch und durch böses, blutrünstiges Tier dargestellt.
Doch inzwischen ist dieses Bild nicht mehr so eindeutig. Zwar werde der Wolf immer noch als Bedrohung wahrgenommen. Aber für viele habe er über die Jahre ein positives Image erhalten, sagt der Kulturwissenschaftler Bernhard Tschofen von der Universität Zürich. Und zwar als Sinnbild für die Natur.
«Der Wolf ist die Öko- und Biodiversitäts-Ikone schlechthin. Seit gut 100 Jahren gibt es diese Vorstellung, dass da, wo die Wölfe sind, die Umwelt intakt ist.» Darum gebe es auch so viele Naturfreunde, die sich für sie einsetzten.
Der tierische Migrant, der stört
Auf der anderen Seite lehnen ihn viele vehement ab, insbesondere in den Berggebieten. Der Wolf war lange ausgerottet. Die moderne Gesellschaft müsse erst wieder lernen, mit ihm umzugehen, sagt Tschofen
Am Umgang mit dem Wolf zeige sich unser Umgang mit dem Fremden: «Wölfe sind quasi die tierischen Migranten, die unsere Gesellschaft stören, und die als Bedrohung bestehender Ordnungen wahrgenommen werden.»
In einem Raum, in dem der Wolf ist, ist die Dominanz des Menschen über die Natur infrage gestellt.
So bringe der Wolf das Alpwirtschaftssystem mit seinen unbewachten Schafherden an seine Grenzen: «Der Wolf scheint für viele auch ein Zeichen des Kontrollverlusts zu sein. Ein Raum, in dem der Wolf ist, ist kein kontrollierter, zivilisierter Raum.
In so einem Raum ist die Dominanz des Menschen über die Natur infrage gestellt.» So erklärt sich der Kulturwissenschaftler die teilweise heftige Ablehnung des Wolfs. Es brauche also eine Anpassungsleistung des Menschen – etwa durch Herdenschutz.
Keine Gefahr für den Menschen
Ein Zusammenleben von Mensch und Wolf sei durchaus möglich, sagt auch der Wildtierspezialist des Bundesamts für Umwelt (Bafu), Reinhard Schnidrig. Denn für den Menschen selber bedeute der Wolf keine Gefahr: «Der Wolf ist nicht gefährlich. Er ist und bleibt aber ein grosses Raubtier, er kann in der Nähe von Siedlungen leben. Und da stellt sich die Frage, ob das zumutbar ist.»
So ist es die offizielle Politik des Bundes, den Wolf zwar zu tolerieren, ihn aber von den Siedlungen fernzuhalten, wie Schnidrig erklärt. Ziel des neuen Jagdgesetzes sei es, Wölfe auch präventiv abschiessen zu können, damit sie den Menschen fürchten, und Schafe und Ziegen besser zu schützen.
Wo es Hirsche hat, hat es Wölfe
Denn für diese Nutztiere ist der Wolf eindeutig eine Gefahr. Sie seien aber nicht seine Hauptnahrungsquelle: «Die Hauptbeutetierart des Wolfs bei uns ist der Rothirsch. Wo gute Rothirschbestände sind, werden sich auch Wolfsrudel bilden. Die Nutztiere sind keine dominante Grösse für das Überleben der Wolfsrudel, es ist mehr eine Gelegenheitsbeute.»
Nutztiere sind keine dominante Grösse für das Überleben der Wolfsrudel, sie sind mehr eine Gelegenheitsbeute.
Deshalb sei ein guter Herdenschutz zentral, so der Leiter der Sektion Wildtiere beim Bafu. Auch Kulturwissenschaftler Tschofen sieht in der Rückkehr des Wolfs ein gutes Zeichen: «Es gibt in dieser geregelten, industrialisierten, hoch organisierten Schweiz Platz für Natur, für Wildnis.»
Zu Zeiten von Grimms Märchen war der Platz für den Wolf nicht mehr da, weil es damals viel weniger Rehe und Hirsche gab. Heute, so die Einschätzung der Experten, sollte der Platz für beide ausreichen. Wie stark die Regulierung künftig sein soll, darüber gehen die Meinungen auseinander. Das neue Jagdgesetz würde den Kantonen mehr Spielraum und Einfluss geben.