Die Teilnahme an der Diskussionssendung «Club» musste sie tagelang vorbereiten. Nicht inhaltlich, sondern energetisch. Denn Manuela Bieris Kraftreserven sind schnell aufgebraucht. Strengt sie sich zu sehr an, kommt es zu einem «Crash», einem schweren Zusammenbruch.
Manuela Bieri, Vorstandsmitglied von Long Covid Schweiz, war früher eine aktive, lebensfrohe Frau. Sie war viel unterwegs, auch im Ausland. Sie arbeitete als Intensivpflegefachfrau. Bei der Arbeit im Spital steckte sie sich mit dem Coronavirus an. Die Folge: Long Covid mit Fatigue Syndrom, einer lähmenden Erschöpfung.
An schlechten Tagen schaffte sie es anfangs nicht einmal, die Wohnung zu verlassen. Sie hat Schwindelanfälle und Konzentrationsstörungen. «Ich bin zwar nicht gestorben, aber Covid hat mir das Leben genommen», sagt die medizinisch ausgebildete 42-Jährige.
Mehr Infizierte, mehr Long Covid
Der Verein Long Covid Schweiz geht von 230'000 Betroffenen in der Schweiz aus. Mit den momentan rasant steigenden Fallzahlen steigt auch das Risiko für mehr Long-Covid-Fälle. Die WHO schätzt, dass von zehn Infizierten eins bis drei Betroffene an Long Covid leiden.
Letzte Woche hat der Bund allen über 80-Jährigen die zweite Booster-Impfung empfohlen. Damit sollen sie gut geschützt durch die Sommerwelle kommen. Mehr Ansteckungen wie momentan bedeuten auch mehr Long-Covid-Fälle. «Man weiss, dass vor allem Frauen an Long Covid erkranken. Auch sie sollen geschützt werden und sich gratis impfen lassen können», schlägt Bieri vor.
Long-Covid-Erkrankte kritisieren, sie werden nicht ernst genommen, weder von der Politik noch von den Behörden. Sie fordern unter anderem ein nationales Register und Geld für breit angelegte Forschung. «Die Politik hat sich entschieden, dass Long Covid kein Grund sein soll für weitere Massnahmen. Also soll der Bund auch die Konsequenzen tragen und Long-Covid-Betroffene unterstützen» fordert Bieri.
Teure Long-Covid-Betroffene
Ein wesentlicher Anteil der Long Covid-Betroffenen fehlt während Wochen oder Monaten bei der Arbeit, stellt Long-Covid-Spezialist Milo Puhan von der Universität Zürich in einem Bericht fest. Und wer wieder zur Arbeit zurückkehrt, kann häufig nur ein tieferes Pensum stemmen. In den USA fehlen laut der Denkfabrik Brookings wegen Long Covid 1.6 Millionen Arbeitskräfte.
Die soziale und wirtschaftliche Dimension von Long Covid kann man sich noch gar nicht vorstellen.
Auch Manuela Bieri kann nicht mehr wie zuvor im Spital arbeiten. Inzwischen ist für sie nur noch ein 15 Prozent Bürojob zu Hause möglich. Weil sie sich bei der Arbeit mit dem Coronavirus angesteckt hat, übernimmt die schweizerische Unfallversicherung Suva 80 Prozent ihres Lohnausfalls.
«Ich bin für die Gesellschaft enorm teuer und koste den Staat extrem viel», sagt Manuela Bieri. Und: «Die soziale und wirtschaftliche Dimension von Long Covid kann man sich noch gar nicht vorstellen.» Die diplomierte Pflegefachfrau wünscht sich nichts mehr, als irgendwann wieder in ihrem Beruf arbeiten zu können.
Nach einem Treffen mit Freunden oder einem Konzert liege ich ein paar Tage krank im Bett, mit Schüttelfrost, Fieber und anderen Beschwerden – als Folge von Long Covid.
Seit Manuela Bieri denken kann, geht sie ans Gurtenfestival – und versucht es auch dieses Jahr. Für die musikbegeisterte Bernerin ist es ein Wiedersehen mit Freundinnen und Bekannten. Sie weiss, auf was sie sich einlässt: «Nach einem Treffen mit Freunden oder einem Konzert liege ich ein paar Tage krank im Bett, mit Schüttelfrost, Fieber und anderen Beschwerden – als Folge von Long Covid. Aber das nehme ich in Kauf. Ich lasse mich von Long Covid nicht unterkriegen.»