Jedem Land sein Epidemiologe oder Virologe: Quer über den Globus sprechen Forscher zur besten Sendezeit über R-Werte, Virenlast und Polymerase-Kettenreaktion-Tests. Gebannt hängt ihnen ein Millionenpublikum an den Lippen.
In Deutschland sind Christian Drosten, Karl Lauterbach und Hendrick Streeck zu Popstars im Laborkittel geworden – und liefern sich Forscherfehden zum aktuellen «Infektionsgeschehen». Sehr zur Freude des Boulevards.
In den USA ist «Dr. Fauci» der Stachel im Fleisch von Präsident Trump, der ein zwiespältiges Verhältnis zur Wissenschaft pflegt. In der Schweiz ist die Tonlage traditionell ruhiger. Doch auch hierzulande sind Christian Althaus oder Marcel Salathé zu bemerkenswerter Berühmtheit gelangt.
Aber lange nicht alle Virologen und Epidemiologinnen stehen derzeit im Rampenlicht. Sabine Rohrmann ist eine von ihnen.
Im Schatten des Medienrummels
Landläufig weckt der Begriff «Epidemie» das Bild eines sich rasant ausbreitenden Virus, das von Mensch zu Mensch überspringt. Epidemiologin Rohrmann holt weit in der Geschichte aus, um zu erklären, warum sie sich stattdessen mit Krebserkrankungen beschäftigt.
«Lange Zeit bestimmten Infektionskrankheiten die Forschung über Epidemien. In den letzten 150 Jahren hat sich das Spektrum, woran die Menschheit erkrankt, aber sehr verändert», so die Assistenzprofessorin an der Universität Zürich.
Wir sitzen den ganzen Tag am Computer. Wenn man uns zuschaut, ist das relativ unspektakulär.
Noch im 19. Jahrhundert starben viele Menschen an Lungenentzündungen und anderen Infektionskrankheiten. «Heute sterben die meisten Leute an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs», sagt Rohrmann.
In der modernen Forschung werden die gleichen epidemiologischen Prinzipien wie bei Infektionskrankheiten auf nicht übertragbare Krankheiten angewendet. Die Leitfragen, mit denen sich auch Rohrmann beschäftigt: «Wie verteilt sich eine Krankheit in der Bevölkerung, wer ist von ihnen betroffen, was sind die Ursachen?»
Mit einem Schmunzeln beschreibt die Forscherin ihren Arbeitsalltag, der wenig mit Mikroskopen und Schutzanzügen zu tun hat: «Ich arbeite hauptsächlich am Krebsregister der Kantone Zürich, Zug, Schaffhausen und Schwyz. Wir sitzen den ganzen Tag am Computer. Wenn man uns zuschaut, ist das relativ unspektakulär.»
Spurlos geht die Corona-Epidemie aber nicht an der deutschen Forscherin vorüber. «Wir befassen uns mit der Frage, welche Auswirkungen Corona auf Krebserkrankungen hat.» Denkbar sei auch eine Studie zu den Folgen des Lockdowns für Krebspatienten. «Das sind Fragen, mit denen sich klassischerweise die ‹Nicht-Infektionsepidemiologen› beschäftigen.»
Corona nervt auch Epidemiologen
Rohrmann durchlebt derzeit einen Rollenkonflikt, den viele ihrer Kolleginnen und Kollegen durchmachen dürften. «Als Epidemiologin ist es natürlich interessant, eine Epidemie sozusagen live und in Farbe mitzubekommen.»
Auf der anderen Seite denke sie sich aber oft: «Das berufliche Interesse ist zwar ganz nett. Aber ich würde auch gerne mal wieder einmal ohne Maske einkaufen gehen oder mich mit mehr Leuten treffen.»
So bleibt ein tröstliches Fazit: Auch Epidemiologinnen können sich über Corona nerven.