Die deutsche «Bild»-Zeitung und der bekannte deutsche Virologe Christian Drosten liegen sich in den Haaren. Die Zeitung hatte in einem Artikel eine Studie zur Übertragbarkeit des Coronavirus durch Kinder als «grob falsch» bezeichnet und «fragwürdige Methoden» angeprangert. Drosten schrieb auf Twitter von einer «tendenziösen Berichterstattung» und veröffentlichte die Anfrage eines Journalisten der «Bild»-Zeitung.
Mike Schäfer ist Professor für Wissenschaftskommunikation an der Universität Zürich und stammt ursprünglich aus Deutschland. Er sagt gegenüber SRF News, der Konflikt zwischen dem Wissenschaftler und der Zeitung schwele schon länger. Die Art, wie nun eine wissenschaftliche Arbeit mit der für die Zeitung üblichen Zuspitzung öffentlich kritisiert werde, sei ein hochproblematischer Fall.
Der deutsche Virologe Hendrick Streeck ist oft gänzlich anderer Meinung als sein Kollege Christian Drosten. Gemeinsam ist den beiden jedoch der raue mediale Gegenwind: Auch Streeck hatte nach einer früh veröffentlichten Studie heftige Kritik über sich ergehen lassen müssen, wenn auch aus anderen Gründen wie Drosten. Von Ländern wie den USA kennt man ebenfalls das «Medien-Bashing» von Experten in der Coronakrise.
Auch in der Schweiz gibt es mediale Kritik an Experten wie dem Epidemiologen Marcel Salathé von der Uni Lausanne. Doch diese ist laut Mike Schäfer «deutlich zivilisierter». Das liege auch daran, dass in der Schweiz das Ansehen der Wissenschaft im internationalen Vergleich generell recht hoch sei.
Wissenschaftler hätten es in der Schweiz aber grundsätzlich nicht leichter als anderswo, sagt Caspar Hirschi. Der Geschichtsprofessor von der Universität St. Gallen erforscht seit Jahren die Rolle von Experten in der Politik. In der Coronakrise sei die Schweizer Politik lange zurückhaltend mit Experten umgegangen und dafür von diesen hart kritisiert worden. Im Nachhinein sei das Vorgehen ein Glücksfall.
Wissenschaft ist nicht einfach zu kommunizieren.
Der Bundesrat habe damit verhindert, dass Experten für politische Massnahmen verantwortlich gemacht und zur Zielscheibe wurden, so Hirschi. In Deutschland präsentierten sich Politiker seit Beginn der Krise mit Experten vor den Medien. Dies habe nun zur Folge, dass Medien politische Kampagnen gegen Experten losträten, wie im aktuellen Fall in der «Bild»-Zeitung.
Dazu kommt laut Mike Schäfer: «Wissenschaft ist nicht einfach zu kommunizieren.» Normalerweise laufe es in der Welt der Wissenschaft eben anders ab: Wissenschaftler würden ihre Erkenntnisse in Fachpublikationen veröffentlichen. Dann widmen sich Kollegen den Studien. Sie prüfen und begutachten sie – und bringen auch Kritik an.
Der Druck, schnell Resultate zu liefern, ist gewaltig. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass viele Studien nicht halten, was sie versprechen.
Das sei konstruktive Kritik, von der die Öffentlichkeit normalerweise nichts mitbekomme. Nun seien jedoch auch Studien von öffentlichem Interesse, die noch nicht wissenschaftlich begutachtet worden seien. Durch Artikel wie denjenigen der «Bild»-Zeitung würde die Kollegen-Kritik in aller Öffentlichkeit wahrgenommen. Für gewisse Medien sei dies dankbar, sagt Schäfer, so würden Fachdiskussionen unter Kollegen zu Expertenstreits hochstilisiert.
Caspar Hirschi von der Universität St. Gallen sagt dazu: «Der Druck, schnell Resultate zu liefern, ist gewaltig. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass viele Studien nicht halten, was sie versprechen.» Dazu gehöre auch die Studie von Christian Drosten. Öffentliche Diskussionen unter Wissenschaftlern seien in solchen Fällen wichtig, damit schnell geklärt werden könne, welche Forschungen relevant seien und welche nicht.
Das wissenschaftliche System habe bei Drostens «Kinderstudie» funktioniert, so Hirschi. Wissenschaftler hätten zu Recht auf Probleme bei dieser hingewiesen, lange bevor die «Bild»-Zeitung eine Affäre daraus gemacht habe. Doch müssten in der Coronakrise Wissenschaftler in der Lage sein, «schnell, offen und kritisch aufeinander zu reagieren, ohne Gefahr zu laufen, wider Willen politisch instrumentalisiert zu werden».
Wenn Experten perfekt sein müssen, ist die Wissenschaft tot.
Das Gefährliche an Kampagnen gegen Wissenschaftler ist laut Mike Schäfer, dass die Wahrnehmung meist nicht nur eine Person betrifft, sondern die Wissenschaft allgemein. Caspar Hirschi sagt, dass es aber eine falsche Konsequenz wäre, wenn sich Experten nun aus der öffentlichen Diskussion zurückziehen würden.
Medien und die Gesellschaft müssten sich möglichst schnell daran gewöhnen, dass es für wissenschaftlichen Fortschritt entscheiden sei, dass es Fehler, Kritik und anschliessend Korrekturen gebe: «Wenn Experten perfekt sein müssen, ist die Wissenschaft tot.»