In Sibirien ist es in diesen Tagen heiss. Die Temperatur erreicht bis zu 38 Grad. So hohe Temperaturen wurden in dieser Jahreszeit noch nie gemessen. Im Schnitt ist es normalerweise zwölf Grad warm. Die Gefahren und die ökologischen Schäden, die durch die extreme Hitze entstehen können, sind immens. Für Umweltwissenschaftlerin Sonia Seneviratne kommt die Hitzewelle nicht überraschend.
SRF News: Wie lässt sich dieser extreme Temperaturanstieg in Sibirien erklären?
Sonia Seneviratne: Zum Teil ist es die Wetterlage. Aber es ist bereits seit Anfang Jahr sehr heiss. Das Gebiet erwärmt sich ungefähr dreimal schneller als das globale Mittel. Dieses Jahr hat es möglicherweise Rückkopplungen gegeben wegen der weiteren Schmelze von Schnee und Eis. Das könnte zu einer zusätzlichen Erwärmung geführt haben.
Das heisst, Sibirien ist wegen seiner Nähe zu den Polen besonders stark von der allgemeinen Erderwärmung betroffen?
Ja. Alle Gebiete, die mit Eis oder Schnee abgedeckt sind, erwärmen sich tendenziell schneller. Schnee und Eis führen dazu, dass die Strahlung die Oberfläche weniger aufwärmt. Wenn es schmilzt, führt es zu einer zusätzlichen Erwärmung.
Die Folgen der extremen Erwärmung sind mannigfaltig. Eine grosse Sorge der Klimaforschung ist, dass der Permafrost taut. Warum?
Weil damit die Emission von Methan verbunden sein könnte, das auch ein Treibhausgas ist. Wenn das passiert, würde es zu einer zusätzlichen Erwärmung führen. Und zwar nicht nur lokal, sondern global.
In Sibirien werden Pipelines wegen des Permafrosts überirdisch verlegt. Was, wenn die Permafrostböden tauen?
Der instabile Boden führt zu Schäden an Pipelines und Gebäuden. Der Bruch von Pipelines kann auch zu Umweltverschmutzungen führen.
Eine weitere Folge der extremen Hitze ist die Trockenheit. In den vergangenen Wochen wurden bereits 6000 Waldbrände in Sibirien registriert. Wird das zunehmen?
Das ist schon möglich. Bereits letztes Jahr hat es Feuer gegeben in Sibirien. Es ist also eine weitere mögliche Gefahr in der Zukunft.
Was bedeutet das für Sibirien?
Es ist dramatisch für die lokale Fauna und Flora. Viele Waldbrände und weitere Methanemissionen könnten globale Konsequenzen haben auf die Temperatur – wegen der höheren Konzentration von Treibhausgasen.
Wir müssen unbedingt die globale Erwärmung stabilisieren.
In Sibirien zeichnet sich eine ökologische Katastrophe von ungeahnten Ausmassen ab. Welche dringenden Massnahmen braucht es jetzt, um den ökologischen Supergau in Sibirien abzuwenden?
Wir müssen – wie an anderen Orten – unbedingt die globale Erwärmung stabilisieren. Dafür müssen wir auf Netto-Null-CO2-Emissionen kommen. Das braucht grundlegende Veränderungen in der Gesellschaft. Das heisst, dass wir keine fossile Energie mehr verbrauchen. Dies sollte sehr schnell passieren, wenn wir es schaffen wollen, die globale Erwärmung beispielsweise auf 1.5 Grad zu begrenzen.
Das sind langfristige Ziele. Unmittelbar für Sibirien im Moment kann man nichts tun?
Unmittelbar kann man nichts tun. Aber auch wenn wir es schaffen, die Temperatur auf 1.5 Grad zu stabilisieren, was immer noch ein halbes Grad zusätzlich gegenüber heute wäre, würde sich die Lage vorerst weiter verschlimmern. Aber man könnte die Schäden begrenzen. Wenn wir nichts machen, wird es noch viel schlimmer sein.
Das Gespräch führte Marlen Oehler.