Die Stunde des Supercomputers «Watson» der Firma IBM schlug 2011: Watson bezwang in der Quizshow Jeopardy die besten Spieler – mit Einsatz von künstlicher Intelligenz. Schneller als seine beiden Herausforderer fand er die passenden Fragen auf vorgegebene Antworten.
Bald schon versprach IBM auch in der Medizin – speziell in der Krebsbehandlung – eine Revolution. Denn das Programm «Watson oncology advisor» habe die Fähigkeit, riesige Datenmengen zu analysieren und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Ein Arzt oder eine Ärztin in einem Spital kann also den Supercomputer mit der Diagnose und anderen Daten eines Patienten füttern. Watson kann diese Daten dank künstlicher Intelligenz lesen und mit Tausenden von wissenschaftlichen Studien vergleichen.
Schliesslich spuckt er eine Liste empfohlener oder weniger empfehlenswerter Behandlungen aus. Experten wiederum geben Watson regelmässig Feedback. Dadurch lernt Watson und wird immer besser – so zumindest das Versprechen von IBM.
Ist Watson ein voller Erfolg? IBM mauert
Im Internet wirbt IBM mit Erfolgsgeschichten von zufriedenen Patienten, begeisterten Ärztinnen, aber auch mit wissenschaftlichen Studien, die zeigen, dass Watson in 90 Prozent der Fälle gleich entscheidet wie ein multidisziplinäres Tumorboard, in dem verschiedene Ärzte gemeinsam nach der besten Behandlung für einen Krebspatienten suchen.
Watson vorführen oder gar kritische Nachfragen von SRF im Gespräch beantworten will IBM allerdings zunächst nicht. Aber eine grosse, weltweite Recherche der US-Gesundheitsplattform STAT legt nahe, dass Watson nur sehr beschränkt intelligent ist. «Das Programm macht den Spitälern Behandlungsvorschläge aufgrund des Inputs von nur wenigen Ärzten in New York. Es lernt nicht selber vom Erfolg oder Misserfolg der vorgeschlagenen Behandlungen», sagt Ike Swetlitz, Mitautor der Recherche.
Niemand weiss aus wissenschaftlicher Perspektive wirklich, ob Watson den Patienten hilft, abgesehen von ein paar Anekdoten.
Ohne den Input dieser Ärzte lerne Watson in der Krebsbehandlung also nichts Neues dazu. Weltweit nutzen gemäss Recherchen von Ike Swetlitz nur einige Dutzend Spitäler den Supercomputer bei der Krebsbehandlung. Und auch die haben zum Teil schlechte Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel das Rigshospitalet in Kopenhagen, Dänemark. Zwar wollte sich auch dort niemand von SRF zitieren lassen. Aber eine interne Evaluation, die SRF vorliegt, zeigt: Watson lag am Rigshospitalet nur in einem Drittel der Fälle richtig.
«Niemand weiss aus wissenschaftlicher Perspektive wirklich, ob Watson den Patienten hilft, abgesehen von ein paar Anekdoten», sagt Ike Swetlitz. IBM antwortet auf Anfrage von SRF schriftlich dann doch noch und betont, die Untersuchung am Rigshopitalet sei nicht gross genug gewesen, um statistisch signifikant zu sein. Dass Watson Training brauche, sei normal bei künstlicher Intelligenz.
Kleine Schritte, anderswo
Allerdings finden sogar ehemalige IBM-Mitarbeitende, die namentlich nicht genannt werden wollen, gegenüber SRF: «Watson ist noch nicht das Supertool, als das es vermarktet wird. Auch wenn man sich das wünschen würde: IBM hat die Krebsbehandlung bislang nicht revolutioniert.»
Es wird immer einen Arzt, einen menschlichen Arzt brauchen, der die letzte Entscheidung fällt.
Indiz dafür ist auch, dass in der Schweiz offenbar noch kein einziges Spital mit dem «Watson oncology advisor» arbeitet. Allerdings gibt es abseits der grossen Versprechen von IBM durchaus Projekte mit künstlicher Intelligenz, die bereits recht gut funktionieren. Radiologe Andreas Boss bestätigt das – er arbeitet am Zürcher Kompetenzzentrum «Excite» mit, wo unter anderem an Programmen zur Interpretation von Röntgenbildern gefeilt wird. Er warnt, die künstliche Intelligenz sei noch lange nicht als Arztersatz in der Klinik angekommen: «Es wird immer einen Arzt, einen menschlichen Arzt brauchen, der die letzte Entscheidung fällt.»
Eine kleine Auswahl an Projekten:
- Brustkrebs: Am «Zurich Center for Experimental and Clinical Imaging Technologies» (EXCITE), einem Kompetenzzentrum der ETH Zürich und der Universität Zürich, werden Mammografien von Programmen auf Krebsherde untersucht. Sie sind dabei genauso gründlich wie erfahrene Radiologen. Ein weiteres, ganz neues Programm erkennt die Brustdichte einer Frau. Die künstliche Intelligenz ist in der Lage, einen Querschnitt über viele Meinungen zu bilden – bislang war die Interpretation von einer Einzelmeinung abhängig. Die Auskunft ist dann prinzipiell besser als die Meinung eines einzelnen Radiologen.
- Lungenkrebs: China hat mit die höchste Lungenkrebs-Quote der Welt. Gleichzeitig gibt es aber nicht ausreichend spezialisierte Radiologen, um Aufnahmen der Lunge auszuwerten. Ein selbstlernendes Programm ist bereits im Einsatz, um den Engpass zu beheben: Es liest CT-Scans und Röntgenbilder und spürt Auffälligkeiten auf.
- Demenz: Die Alzheimer-Diagnose fällt oft erst spät. In den Niederlanden wurde eine Technik entwickelt, die in MRI-Aufnahmen die Durchblutung des Gehirns untersucht und so zu einer viel früheren Diagnose kommt als bisher. Alzheimer wird so von anderen Formen der Demenz unterschieden und eine zielgerichtete Therapie ermöglicht. Das Programm speichert die Ergebnisse und lernt so immer weiter. Die Treffsicherheit liegt derzeit bei 82 und 90 Prozent.
- Lungenentzündungen: Forscher von Stanford haben einen Algorithmus entwickelt, der Lungenentzündungen auf Röntgenaufnahmen des Brustkorbs besser erkennen kann als Radiologen. Er spürt 14 Krankheiten auf. Bislang wurde die Diagnosetechnik mit 112'120 Röntgenaufnahmen gefüttert.