Ex-Drogenboss Joaquín Guzmán, genannt «El Chapo», steht in New York vor Gericht. Vor der Auslieferung an die USA brach er zweimal aus mexikanischen Hochsicherheitstrakten aus. Seine Verbindungen in die Unterwelt machen ihn bis heute gefährlich. In seiner Heimat Mexiko verfolge man den Prozess zwar, so die Journalistin Sandra Weiss. Doch die Aufmerksamkeit richte sich vor allem auf die neue Regierung und deren Pläne, den Drogenkrieg zu beenden.
SRF News: Was erwartet man in Mexiko von dem Prozess gegen den Drogenboss Joaquín Guzmán in New York?
Sandra Weiss: Mexiko ist sehr gespannt, ob bei dem Prozess pikante Details über die Verstrickungen zwischen Politik, Sicherheitskräften und Drogenhandel ans Licht kommen. Bislang sieht es allerdings nicht so aus, weil die Anwälte Guzmáns nicht – wie sonst fast schon üblich – mit der US-Justiz eine Kronzeugenregelung ausgehandelt haben. Sie stellen Guzmán nach wie vor als sehr kleine Nummer im ganzen Drogengeschäft dar und wollen damit versuchen, die Strafe möglichst gering zu halten.
Das Sinaloa-Kartell, dessen Anführer Guzmán angeblich war, ist in Mexiko weiterhin eine der gefährlichsten kriminellen Organisationen. Das heisst, das Kartell operiert auch ohne Guzmán im gleichen Umfang weiter?
Ja, denn Guzmán war sowieso nur einer von zwei Anführern. Der zweite, Mayo Zambada, inzwischen schon im Rentenalter, ist immer noch aktiv und auf freiem Fuss. Aber das Kartell an sich ist durchaus geschwächt, vor allem durch interne Nachfolgekriege, die die Söhne Guzmáns mit anderen Teilen der Familie ausfechten. Auch der Aufstieg anderer Gruppen, wie etwa der des Kartells Jalisco Nueva Generación, setzen dem Sinaloa-Kartell zu.
Die Mexikaner leiden unter dem Drogenkrieg und unter der immensen Gewaltspirale, die er ausgelöst hat.
In der Regel ist es so: Jede Verhaftung eines Capos führt zu mehr Gewalt. Die Macht wird innerhalb des Kartells neu verteilt und es wird um wichtige Drogen-Umschlagplätze gekämpft.
Wird der Prozess von der mexikanischen Öffentlichkeit mitverfolgt?
Ja, aber er steht nicht im Zentrum des Interesses. Die Berichterstattung darüber findet eher auf den vermischten Seiten statt. Sowieso wird er nur noch in seinem Heimatdorf als Held gesehen, weil er dort sehr viel in Infrastruktur und in Soziales investiert hat, und weil dort im Prinzip eigentlich alle vom Drogenhandel und vom Kartell leben. Ansonsten leiden die Mexikaner unter dem Drogenkrieg und unter der immensen Gewaltspirale, die er ausgelöst hat. Und sie fordern von ihren Politikern Lösungen. Darum sind nun alle sehr gespannt auf die neue linke Regierung.
Wird sich mit dem anstehenden Regierungswechsel etwas ändern?
Der angehende Präsident Andrés Manuel López Obrador hat versprochen, dass er Mexiko den Frieden zurückbringt. Aber bisher hat er nicht gesagt, wie genau das passieren soll. Es ist ein sehr komplexes Problem. Es fängt bei der Stärkung des Rechtsstaates an, geht über die Sozialpolitik bis zur Schaffung von Bildungs- und Arbeitsplätzen für Jugendliche. Das ist gar nicht so einfach, aber immerhin ist das Bewusstsein dafür da.
Das Gespräch führte Antonia Moser.