Die Schweiz und ihr Platz in der Welt war das Hauptthema der bundesrätlichen 1. August-Reden. Je nach Gesinnung rühmten die Redner Freiheit oder Weltoffenheit.
Johann Schneider-Ammann (FDP): Mail an Tell
Der Wirtschafts- und Bildungsminister dachte in Eschenz (TG) darüber nach, was er Wilhelm Tell über die Schweiz von heute erzählen würde. In einem fiktiven E-Mail lobte er die «Erfolgsstory» der Schweiz – mahnte aber, dass dafür etwas getan werden müsse. Er habe Tell auch geschrieben, dass die Schweiz mit ihren Nachbarn in Frieden lebe und mit der EU Verträge abgeschlossen habe, die für den Wohlstand des Landes entscheidend seien. Diesen Weg müsse man weitergehen.
Didier Burkhalter (FDP): Krieg stärker als Friede
Der Aussenminister hielt seine letzte 1. August-Rede als Bundesrat – er tritt Ende Oktober zurück. «Wir leben in einer beunruhigenden Welt», sagte er in Aigle (VD). In dieser Welt von Krisen und Konflikten sei die Schweiz eine beständige Kraft für Frieden und Menschlichkeit. In den vergangenen Jahren sei er um die Welt gereist, sagte er. In Anbetracht der Not vielerorts habe er stark mitgefühlt. In der Schweiz verstehe man nicht, weshalb der Krieg oft stärker sei als der Friede: «Man muss begreifen, welch Privileg es ist, hier zu leben.»
Doris Leuthard (CVP): Alles betrifft uns
Auch die Bundespräsidentin wies auf krisengeplagte Regionen und den Einfluss auf die Schweiz hin. «Wir sind privilegiert, dass wir hier leben dürfen», sagte die Vorsteherin des Umwelt- und Verkehrsdepartements. Dies verpflichte, Verantwortung zu übernehmen, solidarisch zu sein, zu helfen. Auch wenn die Konflikte weit weg seien: «Alles was auf dieser Welt geschieht, trifft uns: Migrationsströme, Finanzkrisen, Klimaveränderung, Protektionismus.» Sie wisse, dass dies vielen Angst mache. Aber manchmal frage sie sich, was mit der Menschheit los sei. Die Schweiz sei ein starkes Land mit einer reifen politischen Kultur und gefestigten Werten: «Veränderungen können wir gelassen begegnen.»
Ueli Maurer (SVP): Nackte Tatsachen
Ganz andere Töne schlug der Finanzminister an, der den ersten Auftritt seines Reden-Marathons in Gluringen (VS) hatte. Er pries die Freiheit der Schweiz und kritisierte die EU und internationale Verträge. Maurer verwies zudem auf Andersens Märchen vom Kaiser und den neuen Kleidern: Der Kaiser lässt sich von Scharlatanen Kleider andrehen, die angeblich für Dumme unsichtbar sind – und läuft nackt herum. Da niemand als dumm gelten will, klatschen alle Beifall. Bis ein Kind ruft: Der Kaiser ist nackt! «Jemand muss den Mut haben», folgerte Maurer, «auf die Wahrheit hinzuweisen, auf die nackten Tatsachen». Auch auf die Gefahr hin, als dumm angesehen zu werden.
Guy Parmelin (SVP): Kein Durst nach Gold
Zu einem ähnlichen Vergleich griff der Verteidigungsminister. In Wimmis (BE) kam er auf Niklaus von Flüe zu sprechen. Bruder Klaus bringe eine Tugend zum Ausdruck, die heute schwer verständlich sei: «Der Weise misstraut von Natur aus der Anwendung von Gewalt, dem Streben nach Macht und dem Durst nach Gold.» Parmelin drückte auch seine Bewunderung für andere historische und aktuelle Figuren aus. Alte und neue Mythen vermittelten den Menschen Werte: Wilhelm Tell etwa Mut, Henry Dunant Humanität und Roger Federer Kampfgeist.
Simonetta Sommaruga (SP): Offene Türen
Die Justizministerin trat im Val-de-Travers (NE) ans Mikrofon. Das Tal könnte sich ebenso gut «Val ouvert» nennen, sagte sie: offenes Tal. Früher sei der Asphalt aus den Minen weltweit verwendet worden, und die Marinechronometer aus der Uhrenindustrie hätten dazu beigetragen, neue Ozeane zu ergründen. Dann schlug die SP-Bundesrätin den Bogen zur Migration. Die Lebensbedingungen müssten bereits in den Herkunftsländern verbessert werden, da sei man sich einig. Wer vor Krieg oder Verfolgung flüchte, müsse «in der Schweiz offene Türen finden».
Alain Berset (SP): Babylonischer Turm
Der Kultur- und Innenminister war am Montag per Helikopter auf den Julierpass geflogen. Dort wurde ein fast dreissig Meter hoher Theaterturm aus Holz eröffnet. Nicht weniger als eine Metapher für die Vielfalt der Schweiz sei das Bauwerk, sagte Berset: für den kulturellen Austausch, für Identität und Ordnung. Der vom babylonischen Turm inspirierte Bau stehe an einem Ort, an dem gemäss biblischem Mythos die totale Sprachverwirrung herrschen müsste. So würden in der 200-Seelen-Standortgemeinde Bivio (GR) drei Landessprachen gesprochen, zudem vier Idiome oder Dialekte. Trotzdem funktioniere das Zusammenleben gut und stehe stellvertretend für das ganze Land.
Fünf Bundesräte haben ihre Rede zum diesjährigen Nationalfeiertag bereits am Vorabend des 1. August gehalten.