Ein guter Tropfen, gelagert im kühlen Felsen: Davon träumt Josef Wilhelm Amrein-Troller, als er Ende des 19. Jahrhunderts in Luzern einen Weinkeller plant. Was er damals nicht weiss: Im einstigen Steinbruch schlummert schon längst ein wahrer Schatz. Sogenannte Gletschertöpfe nämlich, die bei den Aushubarbeiten 1872 zum Vorschein kommen. Zeugen der letzten Eiszeit vor 20'000 Jahren.
Amrein-Troller ahnt: Das hier ist ein Sensationsfund. Diese Gletschtertöpfe, schachtartige Löcher im Fels und die dazugehörenden monumentalen Brocken, könnten die Kassen klingeln lassen. Sein Geschäftssinn ist geweckt. Schon wenige Monate später, am 1. Mai 1873, öffnet der Gletschergarten Luzern seine Tore. Eintrittspreis damals: 50 Centimes.
Gäste aus dem In- und Ausland lassen nicht lange auf sich warten: Schriftsteller Mark Twain, Philosoph Friedrich Nietzsche oder Komponist Richard Wagner – sie alle waren hier.
Über 14 Millionen Gäste in 150 Jahren
Seither sind 150 Jahre vergangen. Über 14 Millionen Besucherinnen und Besucher haben das Naturdenkmal bislang besucht. Wegen der Gletschertöpfe, aber nicht nur: Auch wegen des orientalischen Spiegellabyrinths, das seit 1898/99 zur Touristenattraktion gehört. Oder wegen des Pfyffer-Reliefs aus dem 18. Jahrhundert – dem ältesten Gebirgsrelief der Welt, das Seen und Berge der Innerschweiz erstmals massstäblich exakt darstellte.
Der Gletschergarten ist ein geordnetes Durcheinander.
Der Gletschergarten, ein Gemischtwarenladen? Ein Sammelsurium? In den Ohren von Direktor Andreas Burri ist dies keine Beleidigung. Der Gletschergarten verdanke seinen Erfolg der Gesamtanlage. «Es ist ein geordnetes Durcheinander», sagt Burri. «Wer sich darauf einlässt, muss mehrmals kommen, um im Chaos die Ordnung zu entdecken. Wir sind kein 08/15-Museum.»
Hier lässt sich die Geschichte ertasten
Der Gletschergarten sei allerdings nicht stehen geblieben, betont der Direktor. In der Coronazeit hat das Museum über 20 Millionen Franken in einen neuen Felsenweg investiert. Modernste Architektur prallt auf uralten Sandstein. Mit dem Gang ins Höhleninnere beginnt eine Zeitreise, die Vergangenheit und Zukunft beleuchtet.
Über 130'000 Besucherinnen und Besucher zählte der Gletschergarten 2022, so Direktor Andreas Burri. «Das beste Ergebnis der letzten 20 Jahre.»
In Spitzenzeiten waren es allerdings bis zu 50'000 Menschen mehr. Das Freizeitangebot in der Region sei enorm gewachsen, sagt Burri. «Die Auswahl für Gäste, Gruppen, Touristinnen und Touristen wurde viel grösser. Das spüren wir.»
Allerdings ist er überzeugt: Gerade im digitalen Zeitalter würden Museen an Bedeutung gewinnen. Und somit auch der Gletschergarten. «Als Ort der Begegnung, aber auch als Ort der haptischen Erfahrung.» Wo sich Geschichte also buchstäblich ertasten lässt.
Die nächste Baustelle bahnt sich bereits an
Daher haben die Verantwortlichen bereits die nächsten Pläne parat. Seit 1980 schützt ein riesiges Zeltdach die Gletschertöpfe vor der Verwitterung – anno dazumal das erste dieser Art hierzulande.
Doch an der Konstruktion nagt der Zahn der Zeit. Ein Ersatz muss her. Burri: «Das ist eine komplizierte, aber auch spannende Aufgabe, die auf den Gletschergarten zukommen wird.»