Nach 36 Jahren in der nationalen Politik ist Schluss: Paul Rechsteiner tritt Ende Jahr als Ständerat zurück. Seit 2011 war er in der kleinen Kammer. Im Interview spricht Rechsteiner über den Zeitpunkt des Abgangs, seine Nachfolge und darüber, was seine Zukunft jetzt bringen soll.
SRF News: Im «Tagblatt» steht, der Zeitpunkt Ihres Rücktritts sei Ihr «letzter Coup». Warum treten Sie jetzt zurück?
Paul Rechsteiner: Ich bin seit 45 Jahren in einem Parlament. Ich hätte mir nie vorstellen können, einen derart langen Zyklus zu haben. Nach 36 Jahren in Bern ist es, glaube ich, erlaubt, zurückzutreten.
Warum glauben Sie, dass die SP bei vorgezogenen Wahlen bessere Chancen hat, den Sitz zu verteidigen?
Ich habe so entschieden, um eine Einer-Vakanz zu ermöglichen, ohne Einbezug der Partei. Es geht um das Anliegen einer breit abgestützten Abordnung im Ständerat. Das war seit 2011 ein Erfolgsrezept. Einerseits jemand mit Verankerung auf bürgerlicher und wirtschaftlicher Seite, andererseits jemand, der das soziale St. Gallen vertritt. Die Kombination ermöglichte es uns, sehr viel zu erreichen, zum Beispiel in der Bahnpolitik.
Was mich länger zögern liess, war die enorme Reaktion aus der Bevölkerung.
Klar kommt es vielleicht überraschend. Ich wollte aber meine Verantwortung für die St. Galler Bevölkerung wahrnehmen. Ständeratswahlen sind Personenwahlen, diese Einer-Vakanz ermöglicht das jetzt.
Wann haben Sie Ihre Partei informiert?
Vor ein paar Tagen die Parteipräsidentin. Den Entscheid für mich habe ich vor Monaten gefällt.
Spürten Sie in den letzten Jahren Druck Ihrer Partei, weil Sie immer wieder angetreten sind?
Was mich länger zögern liess, war die enorme Reaktion aus der Bevölkerung. Am Donnerstag noch sprachen mich zwei Menschen auf dem Weg ins Büro an. Eine rührende Frau, die sagte, wie wichtig es sei, dass ich in Bern sei und auch die Anliegen von Leuten vertrete, die nicht so viel Geld haben.
Ich werde ein politischer Mensch bleiben.
Solches Echo war immer mit einer starken Verantwortung verbunden. Kein Mensch ist ewig. Ich habe einen Zeitpunkt gewählt, der auch von Verantwortung geprägt ist. Ich hoffe, dass auch die soziale Kraft in Bern stark vertreten bleibt.
Ist es möglich, dass die SP und die Grünen sich auf eine gemeinsame Kandidatur einigen?
Das ist Sache der Partei. Mein Anliegen war, dass die St. Galler Bevölkerung eine echte Wahl hat, indem diese nicht im Zug der Gesamterneuerungswahlen von nationalen Themen überschattet wird. So ist es möglich, dass es einen St. Gallischen Wahlgang gibt, mit St. Gallischen Themen in St. Gallischen Medien.
36 Jahre Politiker in Bundesbern – was war Ihr Highlight?
Es gab viele Highlights, aber auch schmerzhafte Niederlagen. 2011 war alles neu, als wir den Ständeratssitz eroberten. Seither ist die SP im Ständerat keine Randgruppe mehr wie heute die SVP, sondern eine starke Kraft, die mit den anderen die Zukunft gestaltet.
Wie schwer fällt Ihnen der Wechsel in die Beobachter-Rolle?
Es gibt immer ein Vorher und ein Nachher. Ich war mit Leidenschaft 20 Jahre Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds. Als ich 2018 zurücktrat, habe ich gezeigt, dass ich zurücktreten kann. Ich werde ein politischer Mensch bleiben, werde als Präsident aktiv in der Paul-Grüninger-Stiftung sein und behalte noch ein Pensum als Anwalt. Ich bin zuversichtlich, dass meine nächsten Jahre auf eine ganz andere Art interessant werden.
Das Gespräch führte David Lendi.