Es gibt «normalerweise» und es gibt «ausnahmsweise». Bezogen auf die Abstimmungsvorlagen und die Umfragen dazu heisst «normalerweise»: Sind der Absender Bundesrat und Parlament, steigt die Zustimmung im Verlauf des Abstimmungskampfes. Die Ausnahme ist das Gegenteil, wenn die Zustimmung sinkt. Genau dieser Ausnahmefall ist laut der Umfrage bei allen vier Vorlagen, die am 24. November zur Abstimmung kommen, eingetreten. Warum?
Vier Erklärungsansätze ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
1. Das wachsende Misstrauen
Laut Zahlen von GfS Bern von Anfang Monat ist das Regierungsvertrauen auf einem Tiefpunkt angelangt. Noch 42 Prozent geben an, sich auf die Regierung verlassen zu können. Und mit 47 Prozent äussert erstmals in dieser Umfragereihe eine relative Mehrheit die Meinung, im Bundeshaus werde immer mehr gegen das Volk entschieden. Das könnte erklären, warum die Positionen von Bundesrat und Parlamentsmehrheit in der Bevölkerung mehr hinterfragt werden
2. Abstimmungserfolge der Linken
Mit dem Meinungsbild, das diese 2. Umfrage zur Abstimmung vom 24. November zeigt, könnte sich ein politischer Trend fortsetzen: Das linke Lager geht bei Abstimmungen öfter als früher als Sieger vom Platz – vor allem, wenn es um Renten und Steuern geht. Das war dieses Jahr bei der 13. AHV-Rente genauso wie bei der Pensionskassenreform und schon 2022 bei den Vorlagen zu Stempelabgaben und der Verrechnungssteuer.
3. Die wachsende Unsicherheit
Das Sicherheitsgefühl in Europa hat mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine abgenommen. Gewissheiten sind ins Wanken geraten und der Ausnahmezustand der Pandemie wirkt nach. Der Wunsch nach Sicherheit könnte auch das Abstimmungsverhalten der Stimmberechtigten verändert haben, etwa bei den Renten, bei den Mieten, im Gesundheitswesen. Im Zweifelsfall entscheidet man sich gegen eine Reform, von der man noch mehr Unsicherheit befürchtet.
4. Der sich verändernde Medienkonsum
Die Zeit, in der sich ein Abstimmungskampf nur in Zeitungen, Online-Publikationen, Radio und Fernsehen abspielte, ist vorbei. Unterdessen gibt die Universität Zürich in ihrer jährlichen Medienstudie den Anteil der News-Deprivierten mit 46 Prozent an – also der Anteil jener, die kaum professionelle Medien konsumieren, sondern sich vor allem in den sozialen Medien bewegen. Von ihnen gehen etwa 30 Prozent an die Urne, ihr Stimmverhalten ist aber der Studie zufolge unberechenbar und häufiger regierungskritisch. Das kann die gängigen Muster der Meinungsbildung im Abstimmungskampf verändern.
Abschliessende Erklärungen, warum Behördenvorlagen vermehrt scheitern, haben die Demoskopen noch nicht. Kommt es aber tatsächlich zu einem vierfachen Nein am 24. November, geht die Suche nach Antworten erst richtig los – nicht zuletzt im Bundesratszimmer.