Mit dem neuen Gesetz zur Überwachung von Sozialversicherten sollen verdeckte Beobachtungen bei einem Verdacht auf Missbrauch legal werden. Dagegen hat ein Bürgerkomitee das Referendum ergriffen. Für sie geht das Gesetz zu weit und verletzt die Privatsphäre, denn viele Regeln seien zu wenig klar, weil das Gesetz «schludrig» formuliert sei.
Diesen Vorwurf müsse man an das Parlament richten, sagt Bundesrat Alain Berset dazu auf dem Prüfstand in der «Abstimmungs-Arena». «Tatsächlich war die erste Fassung des Gesetzes nach der Beratung absolut unerträglich.» Aber dann habe das Parlament sehr viel korrigiert und eine gute Lösung gefunden.
Das Referendum als Schutz für «Rentenbetrügern»; davon will Silvia Schenker nichts wissen. «Das Problem ist, dass Versicherungen extrem viel Macht erhalten und selber entscheiden können, ob eine Observation gemacht wird.» Bild- und Tonaufnahmen gingen zu weit, denn solche Beobachtungen hätten bislang auf einer rechtlichen Basis stattgefunden, die nicht ausreiche.
Neuer Straftatbestand
Die Diskussion um die Überwachung habe es schon bei der Debatte über die 5. IV-Revision gegeben, entgegnet Ruth Humbel. Observationen habe das Bundesgericht bestätigt, bis dann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) das Vorgehen als rechtlich nicht genügend kritisierte.
Nur gebe es aber in der Zwischenzeit einen neuen Straftatbestand, erklärt Balthasar Glättli: Konkret mit der Ausschaffungs-Initiative, die festschreibt, dass es strafbar ist, wenn jemand bei einer Sozialversicherungsleistung betrügt. «Das heisst, jede Sozialversicherung kann Anzeige erstatten. Es braucht darum kein neues Gesetz und keine Sozialdetektive, weil das die Polizei machen darf und zwar in klar geregeltem Rahmen.»
Verdacht müssten Versicherer abklären
Heinz Brand nimmt das Argument auf, dreht es aber um: Es brauche gar nicht so weit gehende Untersuchungen, wie sie die Polizei bei Strafuntersuchungen machen könne. «Es genügt, wenn man den Betrugs-Tatbestand mit einer Überwachung abklären kann.»
Die Frage sei, ob bei einem Verdacht auf Missbrauch jemand gleich kriminalisiert werden solle, ergänzt Humbel. Bei einem Verdacht müssten die Versicherer das abklären.
Jährlich rund 77'000 Fälle in Bearbeitung
Aber damit würde auch das staatliche Gewaltmonopol aufgelöst, entgegnet Benjamin Gautschi. Und zwar, «indem private Versicherungen mit privaten Ermittlern observieren dürfen».
Monika Dudle-Ammann relativiert die Bedeutung von Observationen. Bei der Invalidenversicherung (IV) würden pro Jahr rund 77'000 Fälle bearbeitet. Bei rund 2000 müsse man etwas genauer hinschauen. «Und schliesslich es gibt 240 Fälle, die observiert werden.»
Geteilte Meinungen am Expertentisch
Vor der Beratung hat der Markus Schefer mit vier weiteren Staatsrechtlern Verbesserungsvorschläge an die Parlamentarier versandt. Ihr Anliegen war es, Observationen von Sozialhilfebezügern rechtstaatlich besser durchzuführen, indem sie vorgängig von einem Richter überprüft werden müssen. Zudem sollten Beobachtungen nur bei IV-Versicherten und nicht bei allen Sozialversicherungen möglich sein.
Abklärung durch IV-Stelle, nicht nur Polizei
Bei den Sozialversicherungen sei zentral, dass die Leistungen den Leuten zukämen, die sie brauchen. Und wer betrüge, solle die Leistung nicht bekommen, erklärt Jürg Brechbühl vom BSV. Das klärten die IV-Stellen mit ihren eigenen Mittel ab. «Dann kann es auch eine Observation sein. Aber ein Strafprozess ist dafür nicht der richtige Weg.» Eine Abklärung solle durch die IV-Stelle erfolgen und nicht durch die Kantonspolizei.
Wie weit darf eine Observation ins Private eingreifen?
Ein wichtiger Streitpunkt ist die frei einsehbare Observation von Verdächtigen. «Im Gesetz steht das ziemlich deutlich», betont Dimitri Rougy. Aber nicht definiert sein, wer diese Versicherungsdetektive kontrolliere.
Das sei mit deren Ausbildung neu geregelt, sagt Alain Berset. Zudem dürfe der Observierte neu auch Einsicht verlangen und allenfalls Beschwerde einreichen. «Das ist eine Verbesserung zur heutigen Situation.»
«Sie kann jeden Clown anstellen»
Diese Verbesserung wirke aber nur, ergänzt Jurist Markus Schefer, wenn eine Versicherungsgesellschaft die Observation an einen Privaten auslagere. «Wenn sie ihre eigenen Leute einstellt, kann sie jeden Clown anstellen.» Für Schenker wird das dann zur Vertrauensfrage, denn das vorliegende Gesetz werde von privaten Versicherern angewendet. Und das seien Organisationen, die ist in einem Verfahren Partei seien.
Dimitri Rougy will vor allem den Rechtsstaat verteidigen. Darum stösst er sich vor allem daran, dass nicht im Gesetz steht, wie Observationen kontrolliert werden. «Ich bin für die Überwachung von Sozialversicherten, aber ich bin auch für die Privatsphäre von uns allen», sagt er auf dem Prüfstand.
Bisherige Rechtsprechung berücksichtigen
Für Bundesrat Berset ist wichtig, dass die Bürger wissen, was man darf und was nicht. Darum habe man die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts übernommen, und das bedeute, dass bei Observationen die Sicht von draussen auf einen Balkon etwa möglich sei, aber sicher nicht der Blick in die Küche oder das Schlafzimmer.
Ausformulierung zu Observationen fehlt
Damit ist Balthasar Glättli nicht einverstanden. Die Ausformulierung zu Observationen fehle. Es sei darum eine schludrige Gesetzgebung, denn «ein Gesetz muss funktionieren. Auch ohne die Leute, die erklären, wie es gemeint ist.»
Die Kontrolle der IV-Stellen und der Detektive obliege dem Bundesamt für Sozialversicherungen, betont Jürg Brechbühl: Die Verordnung befinde sich in der Vernehmlassung. «Wenn also die Verordnung Verbesserungsbedarf hat, dann werde man sie verbessern.»