- Der Aargauer Regierungsrat eröffnet ein Disziplinarverfahren gegen den leitenden Oberstaatsanwalt Philipp Umbricht und prüft allfällige Massnahmen.
- Dies, nachdem die Staatsanwaltschaft bei einem Prozess vor dem Obergericht unentschuldigt ferngeblieben ist.
- Auch das Bundesgericht hat wegen der Absenz zu tun: Bereits mehrere Urteile fällte es im Zusammenhang mit der schwänzenden Staatsanwaltschaft.
- Die Absenz hat auch strafrechtliche Konsequenzen: Der Täter, um den es in jener Verhandlung ging, kommt mit einer milderen Strafe davon.
Es ist eine verworrene Geschichte, die mit einem Prozess am Aargauer Obergericht am 9. Juni 2023 ihren Anfang nimmt. Der 9. Juni ist ein Freitag, und zwar der Freitag nach Fronleichnam. Ein nicht gesetzlicher Feiertag, den viele nutzen, um sich ein verlängertes Wochenende zu gönnen. So offenbar auch die zuständige Staatsanwaltschaft.
Von der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau will an dem besagten Freitag nämlich niemand ans Gericht. Eine Bitte, den Prozess zu verschieben, lehnt das Obergericht ab und mahnt: Sollte seitens Staatsanwaltschaft niemand auftauchen, gälte das als unentschuldigte Absenz.
Trotz dieser Warnung fehlte die Staatsanwaltschaft am Prozesstag. Zum Ärger des Gerichts und zur Freude des Angeklagten. Der Mann stand vor Gericht, weil er mit einer 14-Jährigen mehrmals Sex gehabt hatte. Zwar war der Sex einvernehmlich, wegen des Altersunterschieds handelt es sich trotzdem um eine Straftat.
Der Angeklagte sollte in zweiter Instanz noch härter verurteilt und des Landes verwiesen werden – so wollte es die Staatsanwaltschaft. Weil diese aber nicht anwesend war, erklärte das Obergericht die Anträge als zurückgezogen und milderte die Strafe gegen den Mann.
Regierung leitet Disziplinarverfahren ein
Jetzt muss der leitende Oberstaatsanwalt Philipp Umbricht die Verantwortung tragen. Das, obwohl der Gerichtstermin in der Verantwortung der Bezirksstaatsanwaltschaft lag.
Die Aargauer Regierung erklärt diesen Schritt so: Weil die leitende Bezirksstaatsanwältin abwesend war, fand der Mailverkehr zwischen Philipp Umbricht und dem Gericht statt. Die Anwesenheitspflicht gelte gegenüber der Behörde und nicht für einzelne Staatsanwälte oder Staatsanwältinnen.
Darum leitet die Regierung nun ein Verfahren ein und prüft, ob ein pflicht- oder vorschriftswidriges Verhalten vorliegt und eine Disziplinarmassnahme ausgesprochen werden soll.
Fall beschäftigte schon das Bundesgericht
Das Obergericht selbst schob zunächst der zugeteilten Staatsanwältin die Schuld in die Schuhe und büsste sie mit 1000 Franken. Zu Unrecht, entschied das Bundesgericht. Die Staatsanwältin sei bereits dadurch bestraft, dass ihre Anträge beim Prozess zurückgewiesen wurden.
Bis vor Bundesgericht ging auch die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau und wehrte sich dagegen, dass das Obergericht ihre Berufungsanträge zurückgewiesen hatte. Den Prozess hätte man verschieben müssen. Das Bundesgericht sah das jedoch anders: Fronleichnam sei kein gesetzlicher Feiertag. Darum hätte die Staatsanwaltschaft im Gericht anwesend sein müssen.
Es war also rechtens, dass das Obergericht den Gerichtstermin nicht verschieben wollte – obwohl das Gericht darüber informiert wurde, dass die Ferienabwesenheiten der zuständigen Staatsanwaltschaft schon lange geplant waren. Ein Entscheid, der bis heute weitreichende Folgen hat.