Die Armee soll im Falle eines Konfliktes nicht an der Grenze warten und versuchen, den Feind daran zu hindern, in die Schweiz einzudringen. Der Kampf müsste auch im Ausland geführt werden können – und zwar aus der Luft: primär mit Kampfflugzeugen, aber auch mit Drohnen.
«Air Interdiction» nennt sich dieses Offensivszenario, welches Verteidigungsministerin Viola Amherd unterstützt: «Wenn man wartet, bis die Rakete im Haus einschlägt, muss man nicht mehr verteidigen. Dann ist es zu spät. Man muss schauen, dass man sie bereits aufhalten kann, bevor sie ihr Ziel erreicht.»
Tatsächlich geht es um weit mehr als nur darum, anrückende Raketen abzuwehren, wie das Armeepapier «Die Verteidigungsfähigkeit stärken» zeigt. Dort heisst es: «Mögliche Ziele sind Luftwaffenstützpunkte, Radaranlagen, Drohnenabschussvorrichtungen und Lenkwaffenstellungen.»
Und weiter: «Eigene weitreichende Mittel lassen sich auch einsetzen, um angreifende Bodentruppen zu bekämpfen, bevor sie auf das eigene Verteidigungsdispositiv treffen. Durch Angriffe auf Aufmarschachsen, Führungs- und Logistikeinrichtungen oder Truppenansammlungen sollen gegnerische Kräfte einerseits in ihrer Kampfkraft geschwächt werden. Andererseits geht es darum, sie in ihrer Mobilität einzuschränken. Sie können beispielsweise daran gehindert werden, ihre Waffensysteme koordiniert einzusetzen oder Truppen heranzuführen.»
Verteidigungsbegriff neu definiert
«Air Interdiction» – das war eines von vier Evaluationskriterien bei der Beschaffung des neuen Kampfflugzeuges, wie Recherchen von SRF Investigativ Anfang 2022 gezeigt haben. Die Anbieter mussten darlegen, dass ihre Flugzeuge für Luftschläge im Ausland geeignet sind.
Damals waren diese Offensivstrategien noch klassifiziert. Aus heutiger Sicht ist klar, wieso die Fähigkeiten bei der «Air Interdiction» für die Armee schon zu jener Zeit ein zentrales Anliegen waren: Weil sie daran war, den Verteidigungsbegriff neu zu definieren und weiter zu fassen. Und sie hat das ideale Flugzeug gesucht und gefunden: den F-35 von Lockheed Martin.
Gleichzeitig ist das Kampfflugzeug aus den USA ein wichtiger Schritt hin zur sogenannten Interoperabilität: Die Schweizer Armee soll potenziell kompatibel gemacht werden mit anderen Armeen. Denn Armeechef Thomas Süssli will in Zukunft eine «intensivere internationale Kooperation», vor allem eine Annäherung an die Nato soll vorangetrieben werden. Dafür braucht er das passende Material.
Annäherung an die Nato
Ergeben sich durch vermehrte internationale Kooperationen und eine Annäherung an die Nato keine Konflikte mit der Schweizer Neutralität? Verteidigungsministerin Viola Amherd winkt ab. «Wir wollen und können uns nicht in fremde militärische Konflikte einbringen beziehungsweise uns da einmischen», sagt sie. «Wenn wir das nicht machen, dann respektieren wir die Neutralität. Klar ist auch: Wir dürfen in der Zusammenarbeit mit anderen Ländern keine Fakten schaffen zu Friedenszeiten, die uns zwingen würden, uns später einzumischen.»
Solange die Schweiz also nicht der Nato beitritt und damit beistandspflichtig wird nach Artikel 5, sieht die Verteidigungsministerin keine Probleme? Unter der Schwelle eines Beitritts ist alles möglich? Die Antwort von Viola Amherd: «Ja, es ist alles möglich, solange wir uns nicht in fremde militärische Konflikte einmischen. Wir können zusammen üben, müssen aber klar festhalten, dass wir im Ernstfall nicht werden unterstützen können.»